Wie ferne Kräfte Gebirge formen: Forscher entdecken tektonische Vorgänge jenseits der Plattentektonik
Gebirge türmen sich normalerweise dadurch auf, dass zwei Kontinentalplatten untereinander abtauchen – der Vorgang ist auch als Subduktion bekannt. Wissenschaftler haben nun aber eine rätselhafte Kraft im Erdreich ausgemacht, die noch tausende Kilometer entfernt ihre Wirkung entfaltet.

Gebirgszüge entstehen normalerweise durch den Zusammenstoß gigantischer Kontinentalplatten. Eine aktuelle Studie zeigt, dass jedoch auch weit entfernte tektonische Vorgänge Landschaften dramatisch verändern können.
Ein internationales Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) hat einen bislang wenig beachteten Mechanismus genauer untersucht, die sogenannte Same-Dip Double Subduction (SDDS), auf deutsch etwa: doppelseitige gleichgerichtete Subduktion.
Dahinter verbirgt sich ein Prozess, bei dem zwei benachbarte Subduktionszonen in die gleiche Richtung abtauchen, was sich wiederum auf Gebirgsbildung, Erdbebenrisiken und die Bewegung der Erdkruste auswirkt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Motoren der Erdbewegung
Subduktionszonen gelten als Brennpunkte der Erdgeschichte. Eine ozeanische Platte schiebt sich unter eine andere, taucht in den Erdmantel ab und löst gewaltige geophysikalische Vorgänge aus. Entlang solcher Gräben ereignen sich die stärksten Erdbeben der Erde, zudem entstehen dort Vulkanbögen und Gebirgsketten.
Besonders spannend wird es, wenn zwei solcher Zonen parallel und in gleicher Richtung arbeiten. Genau das passiert südlich von Japan, wo der Ryukyu-Graben und der Izu-Bonin-Marianen-Graben nebeneinanderliegen.
Fernwirkung statt direkter Kollision
Die Studie, die unter Leitung des Geophysikers Guido M. Gianni entstanden ist, zeigt, dass die doppelseitige gleichgerichtete Subduktion den gesamten Pazifischen Tiefseegraben seit Millionen von Jahren westwärts zieht. Die Bewegung erzeugt Spannungen, die sich bis in den Nordosten Japans auswirken – obwohl dort keine direkte Plattenkollision stattfindet.
– Guido M. Gianni, Geophysiker Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ), Studienleiter
Die Folgen sind sichtbar: Berge im Nordosten Japans haben sich aufgefaltet, und möglicherweise entstand im Japanischen Meer sogar eine neue Subduktionszone. Die Region war zuletzt Schauplatz des Erdbebens von 2024 auf der Halbinsel Noto.
Die Backarc-Regionen
Um das Phänomen zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Backarc-Regionen, die hinter den bogenförmigen Subduktionsgräben liegen und Teil des tektonischen Gesamtsystems sind. In diesen Bereichen kann die Erdkruste durch horizontale Verkürzung deformiert werden: Gebirge wachsen, Vulkane entstehen, neue Verwerfungen entwickeln sich.

Die Berechnungen des GFZ-Teams zeigen, dass SDDS-Mechanismen solche Backarc-Gebiete entscheidend mitformen. Das könnte erklären, warum Gebirgsbildung auch fernab kontinentaler Kollisionen stattfindet.
Blick zurück in die Erdgeschichte
Die neuen Ergebnisse beschränken sich nicht auf das heutige Japan. Das Modell könnte auch helfen, uralte geologische Prozesse besser zu verstehen. Hinweise auf ähnliche Mechanismen finden sich im Mittelmeerraum während des Mesozoikums sowie in Südamerika im Paläozoikum.
Mit ihren 3D-geodynamischen Modellen liefern die Forschenden einen wichtigen Baustein zum Verständnis sogenannter nicht-kollisionaler Orogenese, also Gebirgsbildung ohne direkten Plattencrash. Solche Prozesse erklären etwa, wie sich andenähnliche Gebirge entwickeln können, auch wenn keine massiven Kontinente aufeinanderstoßen.
Gebirge entstehen also nicht immer durch dramatische Kollisionen wie jene zwischen Indien und Eurasien. Auch stillere, indirekte Kräfte können die Erdoberfläche über Millionen Jahre hinweg prägen.
Bedeutung für die Zukunft
Die Forschung zeigt, dass tektonische Prozesse in einem viel größeren Maßstab wirken, als bisher angenommen. Selbst weit voneinander entfernte Regionen sind durch Spannungen und Bewegungen im Erdinneren verbunden.
Für die Gefahrenabschätzung bedeutet das, dass auch Gebiete, die nicht direkt von Plattenkollisionen betroffen sind, seismischen Risiken ausgesetzt sein können. Das Beispiel Japan belegt, wie solche Prozesse nicht nur Gebirge entstehen lassen, sondern auch katastrophale Erdbeben begünstigen können.
Damit eröffnet die Arbeit einen neuen Blick auf die stillen, aber mächtigen Motoren der Erde – Kräfte, die unsere Landschaften formen und die Geschichte unseres Planeten bis heute weiterschreiben.
Quellenhinweis:
Gianni, G. M., Guo, Z., Holt, A. F., et al. (2025): Non-collisional orogeny in northeast Japan driven by nearby same-dip double subduction. Nature Geoscience, 18, 525–533.