Chronobiologie: Nachtmensch oder Frühaufsteher? Wie Licht unsere innere Uhr taktet
Für viele Menschen beginnt der Tag mit dem vertrauten Klang des Weckers. Es folgen gewohnte Abläufe, vertraute Gerüche und Sinneseindrücke, etwa das Gefühl der Morgensonne im Gesicht. Der Schlaf-Wach-Rhythmus geht jedoch weit über die bewussten Reize hinaus – und er ist hochkomplex.

Die innere Uhr des Menschen bestimmt Körperfunktionen wie Schlaf, Temperatur, Aufmerksamkeit und Hormonproduktion, und sie läuft auch dann weiter, wenn äußere Reize fehlen. Bereits in den 1970er-Jahren wurde nachgewiesen, dass der Mensch einen autonomen, circadianen Rhythmus besitzt. In einem berühmten Experiment verbrachten Versuchspersonen einige Wochen in einem lichtdichten Bunker und hielten ganz ohne Tageslicht ihren Tagesrhythmus aufrecht.
– Prof. Dr. Manuel Spitschan, Professor für Chronobiologie an der Technischen Universität München und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen
Also auch ohne Licht wird die Zirbeldrüse regelmäßig dazu angewiesen, Melatonin zu produzieren. Damit hängt es größtenteils von der Genetik ab, ob jemand Frühaufsteher oder Nachtmensch ist. Komplett unabhängig ist die innere Uhr jedoch nicht, sie weist sogar eine gewisse Flexibilität auf.
Abhängig von Umwelteinflüssen kann die innere Uhr ein kleines Stück vor- oder zurückspulen, zum Beispiel nach einer Zeitverschiebung durch Fernreisen. Doch diese Anpassung verläuft langsam: Etwa ein Tag pro Stunde Zeitunterschied wird benötigt.
Die innere Uhr ist anpassungsfähig
Zwar kann das Licht allein den 24-Stunden-Rhythmus nicht verändern, es wirkt aber kalibrierend auf ihn ein. Wie das genau funktioniert, wollen Manuel Spitschan und seine Mitarbeitenden in Tübingen herausfinden. „In unseren Studien untersuchen wir, wie unterschiedliche Lichtreize im Gehirn verarbeitet werden und wie die innere Uhr darauf reagiert.“

Ein zentrales Element ist dabei das Hormon Melatonin. Es signalisiert dem Körper, wann es Zeit ist, zu schlafen, wobei es nach einem klaren, fast täglichen Muster ausgeschüttet wird. Dieser Rhythmus bleibt auch bestehen, wenn das Schlafbedürfnis durch regelmäßigen Intervallschlaf reduziert wird.
– Prof. Dr. Manuel Spitschan, Professor für Chronobiologie an der Technischen Universität München
Die innere Uhr sitzt im Gehirn, genauer gesagt in einem winzigen Nervenknoten oberhalb der Sehnervenkreuzung, dem sogenannten Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Als zentraler Taktgeber koordiniert er eine Reihe physiologischer Prozesse und steht in Verbindung mit der Zirbeldrüse, die das Schlafhormon Melatonin produziert. Der Takt dieser Prozesse scheint in den Zellen selbst verankert zu sein. „Hier sieht man, dass die Periodenlänge in den molekularen Prozessen der Zellen angelegt ist“, erklärt Spitschan.
Licht ist nicht gleich Licht
Eine Schlüsselerkenntnis der jüngeren Forschung ist, dass sich Lichtarten durchaus unterscheiden, wobei vor allem Intensität und Wellenlänge entscheidend sind. Besonders blaues Licht, etwa von Bildschirmen, hat eine starke Wirkung auf die innere Uhr, vor allem bei einer Wellenlänge von etwa 490 Nanometern.
Melanopsinhaltige Ganglienzellen in der Netzhaut geben direkt Signale an den SCN weiter und beeinflussen dadurch die Melatoninproduktion. Zapfen im Auge hingegen, die für das Farbsehen zuständig sind, sind dabei eher unbedeutend.
Spitschans Team untersucht auch, wie viel Licht wir im Alltag tatsächlich ausgesetzt sind. Eigens entwickelter Sensoren – in Brillen, Ketten und Armbänder eingebaut – erfassen die menschliche Lichtexposition in mehreren Ländern. Parallel dazu zeichnen Menschen zu Hause per EEG ihre Schlafphasen auf, beides mit dem Ziel, realistische Daten für Gesundheitsempfehlungen zu gewinnen.
Neben all diesen Erkenntnissen interessiert sich Spitschan auch für weniger erforschte Phänomene, etwa den photischen Niesreflex. Bis zu 30 Prozent der Menschen müssen niesen, wenn sie grellem Licht ausgesetzt sind. „Als Wissenschaftler will ich da natürlich wissen, was dabei im Gehirn passiert“, sagt Spitschan. Theoretisch könnten auch hier die melanopsinhaltigen Ganglienzellen beteiligt sein. Bisher konnte das allerdings nicht bewiesen werden.
Roadshow soll aufmerksam machen
Um das öffentliche Bewusstsein für chronobiologische Zusammenhänge zu stärken, plant Spitschan mit seinem Team eine mobile Forschungstour durch Deutschland. Die Roadshow tourt von Mai bis Juli 2025 durch zahlreiche deutsche Städte und ist auf Festivals, Verbrauchermessen sowie an zentralen und öffentlichen Orten zu erleben. Die Tour wird von Fachvorträgen und Podiumsdiskussionen begleitet; Besuchende können zudem als Bürgerforschende an Datenerhebungen teilnehmen.
„Die Roadshow erreicht Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen, zu verschiedenen Tageszeiten, an verschiedenen Standorten in Deutschland,“ kommentiert Spitschan, der das Projekt ins Leben gerufen hat. „So können wir Daten auf einer viel breiteren Basis erheben, als es uns sonst möglich ist.“
Gesünder leben mit der inneren Uhr
Die Forscher wollen aber auch Aufklärungsarbeit leisten: „Menschen glauben zum Beispiel, dass sie faul sind, weil sie es nicht schaffen, früh aufzustehen. Dabei ist das oft biologisch bedingt“, stellt Spitschan klar. Diese Erkenntnis könne einerseits Betroffene entlasten und andererseits erklären, warum manche als Frühaufsteher, andere als Nachteulen leben.
Wie gut oder schlecht wir in den Tag starten, hat also weit mehr mit Lichtreizen und genetischer Veranlagung zu tun als mit bloßem Willen. Wer seine innere Uhr versteht, kann gesünder leben – und sich womöglich besser akzeptieren.
Quellenhinweis:
Nachtmensch oder Frühaufsteher? – Wissenschaftsroadshow zur inneren Uhr.