Waschbären auf dem Vormarsch? Experten erklären Ausbreitungsmuster in Deutschland und Europa
Forscher haben herausgefunden, wie die Ausbreitung sogenannter invasiver Tierarten abläuft. Der Waschbär stellt mit knapp 2 Millionen Exemplaren hier in Deutschland ein besonders prominentes Beispiel dar.

Weltweit verändert sich die Zusammensetzung von Tier- und Pflanzenarten aufgrund des Klimawandels. Dabei spielen auch invasive Arten eine wichtige Rolle, darunter Nilgänse, Nutrias, Marderhunde oder Waschbären. Einer neuen Studie zufolge sollen sich heute zwischen 1,6 und 2 Millionen Waschbären bundesweit in Wäldern, Städten und Siedlungsgebieten aufhalten – mehr als in jedem anderen Land außerhalb Nordamerikas.
– Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe-Universität Frankfurt
Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung hat nun den Invasionsprozess des Waschbären in Deutschland analysiert. Das Forschungsteam um Prof. Dr. Sven Klimpel und Dr. Sarah Cunze von der Goethe-Universität Frankfurt hat dabei Jagddaten aus 21 Jahren und 398 Landkreisen genutzt, um die räumlichen und zeitlichen Dynamiken dieser invasiven Art zu erfassen.
Dabei zeigte sich, dass die Verbreitung des Tiers nicht zufällig verläuft, sondern bestimmten Phasen folgt: vom erstmaligen Auftreten bis zur raschen Ausbreitung und schließlich zur Stabilisierung der Population.
Verlauf der Waschbärinvasion in Deutschland
Die erfolgreiche Etablierung einer invasiven Tierart hängt von Umweltfaktoren und Wechselwirkungen mit der heimischen Fauna ab. Der Waschbär beispielsweise bringt etliche Eigenschaften mit, die seine Ausbreitung begünstigen: Er ist ein anpassungsfähiger Allesfresser, nutzt eine breite ökologische Nische und kann sich auch in menschennahen Gebieten problemlos behaupten. Bereits jetzt lassen sich etwa bei Amphibien und Reptilien Verdrängungseffekte beobachten.
Historisch nachweisbar ist die frühe Etablierung der Waschbären in Nordhessen und Nordostbrandenburg. Im Jahr 1934 wurden in der Nähe des Edersees zwei Zuchtpaare ausgesetzt, 1945 wiederum entwichen 25 Tiere aus einer Pelztierfarm in Brandenburg. Diese Gründungsereignisse legten den Grundstein für stabile Populationen, die sich von dort aus weiterverbreiteten.
– Dr. Sarah Cunze, Goethe-Universität Frankfurt
In anderen Regionen, vor allem im Südwesten Deutschlands, steht die Ausbreitung noch am Anfang. Die Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass die Einteilung des Invasionsprozesses in verschiedene Phasen es überhaupt erst möglich macht, invasive Arte zu bekämpfen. „Die Bewertung des früheren, aktuellen und zukünftigen Stadiums des Invasionsprozesses ist von zentraler Bedeutung, da die empfohlenen Maßnahmen und ihre Erfolgschancen maßgeblich von der jeweiligen Situation abhängen“, sagt Klimpel.
Jagddaten und räumliche Analysen
Die Überwachung der invasiven Arten erfolgte durch Jagdstatistiken, Unfallmeldungen und Daten aus dem Projekt ZOWIAC, das sich mit Wildtieren in urbanen Räumen befasst. – Kombiniert mit räumlichen Analysen könnten perspektivisch Aussagen darüber getroffen werden, an welchen Orten Eindämmungsmaßnahmen sinnvoll sind.
Diese neue Methode könnte dabei helfen, gezielte und wirksame Strategien gegen invasive Arten zu entwickeln. „Unsere Studie trägt zu einem tieferen Verständnis von biologischen Invasionen bei und liefert wertvolle Erkenntnisse für eine effektivere Naturschutzplanung“, fasst Klimpel zusammen.
Wenn die Invasionsphasen besser verstanden werden, lassen sich auch ökologische Schäden besser begrenzen, lautet die zentrale Aussage der Studie. Außerdem kann sich der Umgang mit invasiven Arten grundlegend verbessern, was angesichts des weltweiten Biodiversitätsverlusts ein wichtiges Ziel darstellt.
Quellenhinweis:
Cunze, S., Schneider, G., Peter, N., & Klimpel, S. (2025): Linking patterns to processes: Using hunting bag data to classify raccoon (Procyon lotor) invasion stages in Germany since the 2000s. Ecological Indicators 175: 113568.