Wandel im Wattenmeer: Studie belegt dramatische Veränderungen der Artenvielfalt – Folgen unabsehbar
Das Wattenmeer gehört seit 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe – doch die Artenvielfalt nimmt kontinuierlich ab, wie nun eine neue Studie demonstriert. Besonders betroffen sind Fische, Seevögel, Schalentiere und verschiedene Planktonarten.

Das Wattenmeer ist eines der bedeutendsten Küstenökosysteme Europas, es hat sich jedoch in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Eine neue Studie dokumentiert nun diesen Wandel. Sie untersucht, wie sich die biologische Vielfalt entlang der Küsten der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks entwickelt hat.
Ein Forschungsteam der Universitäten Oldenburg und Groningen hat über 3000 Zeitreihen zur Populationsentwicklung verschiedenster Organismen untersucht, von Fischen und Vögeln über Plankton bis hin zu Pflanzen und Bodenlebewesen. Die Daten wurden an rund 200 Stationen zwischen dem niederländischen Den Helder und dem dänischen Blåvand gesammelt und reichen teils bis ins Jahr 1900 zurück.
Verluste bei Fischen, Plankton, Schalentieren und Seevögeln
Die Studienergebnisse, die im Fachjournal Global Change Biology veröffentlicht wurden, zeigen, dass viele typische Wattbewohner unter den ökologischen Veränderungen leiden, dass einige Arten aber auch davon profitieren. Besonders leiden etwa Fische, die das Wattenmeer als Laich- und Aufzuchtgebiet nutzen, wie der Atlantische Kabeljau und verschiedene Plattfischarten.
Auch Primärproduzenten wie pflanzliches Plankton, Seegras und die Vegetation von Salzwiesen verzeichnen deutliche Verluste. Ähnliche Abwärtstrends zeigen sich bei Muscheln, Schnecken und Borstenwürmern, die den Lebensraums wesentlich stabilisieren, weil sich andere Organismen von ihnen ernähren. Die Verluste gefährden also das ökologische Gleichgewicht.
Bei den Seevögeln, lange Zeit stabile Bewohner des Wattenmeers, nahmen die Bestände über Jahrzehnte hinweg zu, doch ab den späten 1990er Jahren kehrte sich dieser Trend um, vor allem bei Watvögeln und Möwen.
Einzeluntersuchungen nicht ausreichend
Bisherige Untersuchungen zur Biodiversität konzentrierten sich meist auf einzelne Arten. Doch das greife oft zu kurz, meint Prof. Dr. Helmut Hillebrand von der Universität Oldenburg, einer der Hauptautoren. „Viele Studien zur Biodiversität konzentrieren sich auf ausgewählte Schlüsselarten als Indikatoren für einen Wandel der Artenvielfalt“, so Hillebrand. Veränderungen bei anderen, ebenso wichtigen Arten drohen dabei, unentdeckt zu bleiben. Darum kombinierte das Forschungsteam verschiedene Methoden, um Populationsveränderungen systematisch zu erfassen.
– Prof. Dr. Helmut Hillebrand, Universität Oldenburg, Hauptautor
Auch die Oldenburger Meeresökologin Anika Happe, Erstautorin der Studie, befürwortet den ganzheitlichen Ansatz: „Unsere Methode könnte somit dabei helfen, die lokale Gefährdung einzelner Arten frühzeitig zu erkennen.“
Arten, deren Bestände zurückgingen, waren häufig auch miteinander verwandt. Demzufolge bringen ähnliche ökologische Nischen und Lebensstrategien mit sich, dass die Arten auch gemeinsam anfällig gegenüber Umweltveränderungen sind. Zudem verliefen viele der beobachteten Rückgänge zeitlich synchronisiert, was ein Hinweis auf übergeordnete Ursachen ist, wie Klimawandel, Übernutzung oder Veränderungen im Nährstoffhaushalt.
– Prof. Dr. Britas Klemens Eriksson, Meeresökologe von der Universität Groningen
Der neue, integrative Ansatz mache es möglich, komplexe ökologische Zusammenhänge zu analysieren, wie etwa Veränderungen in Nahrungsnetzen, sagen die Forschenden.
Die Studienergebnisse könnten wegweisend für den Küstenschutz und das Management des Wattenmeers werden. Denn das 500 Kilometer lange UNESCO-Weltnaturerbe steht zunehmend unter Nutzungsdruck und ist besonders sensibel gegenüber globalen Umweltveränderungen. Eine umfassende Kenntnis der ökologischen Dynamiken ist daher Voraussetzung für effektiven Schutz.
Quellenhinweis:
Happe, A., Meijer, K., et al. (2025): Synthesis of Population Trends Reveals Seascape-Wide Reorganisation of Biodiversity From Microalgae to Birds. Global Change Biology.