Adios, Au-Revoir, Farewell - 1,5 Grad-Ziel

Auch wenn es schwerfällt: man muss die Realitäten anerkennen und nicht über Ziele sprechen, die nicht mehr zu erreichen sind. Ja, dieses Eingeständnis wird mit Veränderungen verbunden sein, die so tiefgreifend sind, dass ihre Auswirkungen unsere Vorstellungskraft überschreiten. Aber: die Menschheit wird auch das überstehen, wie sie viele Phasen der Evolution überstanden hat.

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Vom 1,5 Grad Ziel werden wir uns wohl verabschieden müssen.

Zu dieser Erkenntnis einer traurigen Realität kam nicht nur ich selbst zusammen mit meinen Studierenden an der Universität Konstanz im April und Oktober 2022, sondern auch Wissenschaftler der Universität Hamburg. In ihrer Studie Hamburg Climate Futures Outlook 2023 stellten sie fest, dass eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius nicht mehr plausibel scheint. Damit sollten wir unser Augenmerk dringend auf die Konsequenzen dieser Erkenntnis richten.

Ursprung des 1,5 Grad-Ziels

Das 1,5 Grad-Ziel wurde im Pariser Klimaabkommen des Jahres 2015 festgelegt, um zu vermeiden, dass Kipppunkt-Elemente in den Erdsystemen irreversibel überschritten werden. Der aktuelle IPCC-Sachstandsbericht AR6 nannte eine kleine, eher theoretische Restchance, für die drei Voraussetzungen zu erfüllen sind:

a) Die weltweiten CO2-Emissionen müssen in spätestens zwei Jahren ihren Höchststand erreichen

b) Bis 2030 muss eine Halbierung zum heutigen Niveau erfolgen und

c) Weil das allein nicht genügt, muss zusätzlich CO₂ in großem Stil aus der Luft gefiltert werden – zum Teil mit bisher noch nicht marktreifen Carbon Capture and Storage-Technologien.

Die Reduzierung wäre physikalisch noch möglich, hätte aber bei den politischen und wirtschaftlichen Realitätstests keine Chance. Die Präsidenten Russlands, Chinas, Indiens, Brasiliens und der USA müssten sich zunächst gegenseitig reumütig in die Arme fallen, um ihre gescheiterte Klimapolitik anzuerkennen. Danach müssten Sie Ursula von der Leyen in ihre Mitte nehmen und eine sofortige Umkehr vereinbaren. Dies würde mit einer Durchsetzung gegen alle nationalen Widerstände einhergehen. Auch bei uns in Deutschland. Ein unvorstellbares Szenario. Leider.

Die dritte Option, also Carbon Capture and Storage gibt es in der Tat. Sie beginnt mit den natürlichen Optionen. Aber: Auch da herrscht Rückschritt oder Schweigen. Viele Länder der Welt holzen weiter ihre Wälder als natürliche Kohlenstoffspeicher ab. Die Ozeane versauern und die Moore werden trockengelegt.

Was nun?

Die erste Erkenntnis der Verabschiedung vom 1,5-Grad-Ziel lautet: „Das Pariser Klimaabkommen ist in seinem wesentlichsten Teil gescheitert“. Jetzt könnte man meinen, dass wir die Erwärmungsziele einfach verschieben, also auf 2 bzw. 2,5 oder 3 Grad. Damit öffnen wir aber Tür und Tor für ein „Weiter so!“ bei den Treibausgasemissionen.

Warum definieren wir also nicht den Umgang mit den Folgen der Klimaveränderungen als die Prämisse der nächsten 50, 100 oder 200 Jahre? Wir haben es nicht geschafft, die physikalische Obergrenze für den sicheren Erhalt unserer Lebensgrundlagen ernst zu nehmen. Genau das wäre das 1,5-Grad-Ziel gewesen. Alles darüber ist jetzt ein Hochrisikobereich, den die Menschheit niemals hätte betreten dürfen. Wir befinden uns in einem planetaren Minenfeld, in dem uns möglicherweise die Kipppunkte links und rechts um die Ohren fliegen.

Es geht ums Überleben

Sprechen wir also anstelle von Klimazielen vom Bevölkerungsschutz – oder im Fall von Bangladesch, den Pazifikstaaten und halb Afrika: vom Überleben. Klimaschutz heißt ab sofort Katastrophenprävention, Ernährungssicherheit und Friedensstiftung. Genau jetzt wäre der Zeitpunkt für die Regierenden dieser Welt gekommen, sich an ihre Bevölkerungen zu wenden und den jeweiligen nationalen Klimanotstand auszurufen, inklusive groß angelegten Informationskampagnen und Sofortprogrammen.

Die Botschaft „1,5 Grad sind nicht mehr zu halten“ könnte ein letzter Weckruf sein. Die Erkenntnis darüber wird die Menschen nicht dauerhaft entmutigen. Sie führt im Gegenteil zu so viel Druck auf die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger, dass sie sich nicht mehr hinter dem „Wird-schon“ oder „Weiter so“-Narrativen verstecken können. Stattdessen muss die Weltpolitik endlich anfangen, so zu handeln, als stünden unsere Lebensgrundlagen auf dem Spiel.

Denn genau das tun sie...

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