Besteht der Erdkern aus mehreren Schichten? Forscher stellen Bedingungen im Erdinneren nach
Forschende konnten anhand von Experimenten nachweisen, dass der innere Erdkern höchstwahrscheinlich mehrschichtig aufgebaut ist. Der Nachweis gelang über Legierungen, die man großen Drücken aussetzte – wie sie auch im Erdinneren vorherrschen.

Wissenschaftler haben ein bekanntes geophysikalisches Rätsel gelöst: Anhand von Experimenten unter extremen Druck- und Temperaturbedingungen konnten sie zeigen, dass der innere Erdkern aus mehreren Schichten bestehen könnte. Das würde erklären, warum Erdbebenwellen sich in verschiedenen Richtungen unterschiedlich schnell ausbreiten – diese sogenannte Anisotropie beschäftigt Seismologen schon seit Jahrzehnten.
An der Studie waren Forschende der Universität Münster, des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY), der Universität Lille sowie der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) beteiligt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Im Mittelpunkt stand die Beobachtung, dass bestimmte Erdbebenwellen entlang der Erdachse drei bis vier Prozent schneller unterwegs sind als entlang des Äquators.
Zudem unterscheiden sich die Anisotropien zwischen unterschiedlichen Tiefenbereichen des festen inneren Kerns: Der äußere Kern ist flüssig, der innere dagegen fest – doch diese einfache Vorstellung genügt nicht, um die feinen seismischen Unterschiede zu erklären.
Kristalle, die sich ausrichten
„Es gibt mehrere Theorien zu den Ursachen dieser Unterschiede“, erklärt Carmen Sanchez-Valle vom Institut für Mineralogie der Universität Münster. Eine davon ist die lattice-preferred orientation (LPO), eine besondere Ausrichtung von Kristallen im Material. Bisher fehlten jedoch belastbare Untersuchungen zu Legierungen, die Eisen, Silizium und Kohlenstoff enthalten.
Um das zu klären, stellte das Team spezielle Eisen-Silizium-Kohlenstoff-Legierungen her. Die Proben wurden in einer Diamantstempelzelle platziert, wo zwei abgeflachte Diamantambosse Drücke erzeugten, wie sie im Inneren der Erde vorherrschen. Ein Graphitheizer steigerte die Temperatur auf über 820 Grad Celsius. Insgesamt entsprach die Belastung dem Millionfachen des atmosphärischen Drucks.

Die Experimente, die anschließend an der Hamburger Großforschungsanlage PETRA III durchgeführt wurden, ergaben, dass sich die Kristalle auf eine bestimmte Art ausrichten. „Mithilfe einer speziellen Röntgenmethode konnten wir diese Kristallausrichtung sichtbar machen“, erläutert Erstautor Efim Kolesnikov. Daraus konnten dann Eigenschaften wie Festigkeit und Zähflüssigkeit ermittelt werden.
Eisenanteil steigt zum Zentrum hin
Darauf aufbauend wurden die gemessenen Materialdaten in Modelle überführt, welche die Bedingungen des inneren Kerns simulieren. Dabei zeigte sich, dass sich die Zusammensetzung des Materials mit zunehmender Tiefe verändert: Der Eisenanteil steigt im Zentrum, sodass mehrere chemisch unterschiedliche Schichten entstehen müssten.
Die Abstufungen wirken sich dann darauf aus, wie schnell sich Erdbebenwellen ausbreiten. „Das passt gut zu den Geschwindigkeitsunterschieden, die wir in seismischen Messungen beobachten“, sagt Projektleiter Ilya Kupenko.
Damit wird die lang diskutierte Idee eines mehrschichtigen inneren Erdkerns neu gestützt. Dabei wird experimentell in Regionen geblickt, die für die Forschung unerreichbar bleiben. Und zugleich wird gezeigt, wie sehr die feine Kristallstruktur eines Materials globale geophysikalische Vorgänge beeinflusst.
Quellenhinweis:
Kolesnikov, E., Li, X., Müller, S. C., et al. (2025): Depth-dependent anisotropy in the Earth’s inner core linked to chemical stratification. Nature Communications.