Ein Meisterwerk pro Tag: Dieses französische Dorf wurde zur Kulisse eines Schaffensrausches
Einer der größten Maler in der Geschichte der Kunst verbrachte hier 70 Tage mit frenetischer Arbeit. Das unauffällige Städtchen im Norden Frankreichs schaffte es so in die bedeutendsten Museen der Welt.

Das Dorf in der Region Île de France liegt gerade mal 35 Kilometer von Paris entfernt und wirkt auch beim ersten Besuch seltsam vertraut. Denn es sieht aus, als sei es den Bildern nachgebaut worden, die längst im Musée d'Orsay in Paris und im Van-Gogh-Museum in Amsterdam hängen: Die Dorfkirche, das Rathaus, das Schloss, der Garten des Kollegen Charles-Francois Daubigny, der Blick über gelbe Felder und den Fluss - das hat man alles schon in den berühmten leuchtenden Farben gesehen.
Auch andere Impressionisten liebten dieses Dorf
Die Wirklichkeit wirkt etwas blasser, aber unverändert: Auvers-sur-Oise, heute Heimat von 6800 Menschen, ist Dorf geblieben. Um den Wiedererkennungswert noch zu erhöhen, ist jedes Motiv van Goghs in Auvers mit einer Reproduktion des entsprechenden Gemäldes versehen.
Van Gogh war nicht der einzige Maler, der hier auf Motivsuche ging. Auch die Impressionisten Paul Cézanne und Camille Pissarro griffen hier zur Feldstaffelei. Nach dem Debakel in Arles in der Provence, wo van Gogh als Spinner verlacht worden war, wusste er zu schätzen, dass man hier eher an exzentrische Künstlernaturen gewöhnt war.
Lieber eine Schubkarre als ein einzigartiges Meisterwerk
Doch Anerkennung fand er trotzdem nicht: Als er einem Händler, bei dem er Schulden hatte, statt des Geldes eines der Gemälde anbot, die er auf einer Schubkarre heimbrachte, schüttelte der den Kopf. Die Bilder könne van Gogh behalten; die Karre würde er nehmen.
Die kleine Kammer in der Herberge Auberge Ravoux, die heute „Maison de van Gogh“ genannt wird und in der er als gänzlich Unbekannter starb, ist zu besichtigen. Eine enge Stiege geht es hoch, dann steht man in dem Zimmerchen, in das sich der Maler schwerverletzt zurückschleppte, nachdem er sich auf der Ebene von Auvers eine schließlich tödliche Schussverletzung beigebracht hatte.

Zweieinhalb Tage dauerte sein Martyrium, bis er am 29. Juli 1890 der Verletzung erlag. Das Zimmer ist heute leer; im Nebenzimmer illustrieren ein eisernes Bettgestell, Waschtisch und ein Stuhl, wie der Künstler hier für 3,50 Franc pro Tag wohnte. Die Leere seines Zimmers macht Einsamkeit und Verzweiflung des genialen Malers spürbar. Es ist die einzige Wohnstätte van Goghs, die im Originalzustand erhalten ist.
Heute wird der Maler glühend verehrt
Im Parterre sieht die Welt wieder heller aus. Liebeserklärungen an den Künstler, geschrieben von amerikanischen und europäischen Touristen und französischen Schulkindern, füllen das Gästebuch des Museums. Der Speiseraum, der kaum verändert wurde, ist heute ein Restaurant. Hier hat auch der unglückliche Vincent über seinem Abendessen gesessen - wenn das wohl auch etwas schlichter war als die französischen Spezialitäten, die heute auf der Karte stehen.
Und nichts lag ihm wohl ferner als die Vorstellung, dass sich vor der Tür einmal die Menschen drängen würden, um seine letzte Unterkunft zu besichtigen.