Kosmisches Rätsel: Warum das Zentrum der Milchstraße kaum Sterne hervorbringt
Das galaktische Zentrum beherbergt dichte Gaswolken, doch unter extremen Bedingungen entstehen dort überraschend wenige massereiche Sterne – ein faszinierendes Paradoxon.

Das Zentrum der Milchstraße gilt als einer der dynamischsten und dichtesten Orte in unserer Galaxie.
Hier befinden sich gewaltige Mengen an molekularem Gas und Staub – Bedingungen, die unter normalen Umständen ein äußerst günstiges Umfeld für die Bildung massereicher Sterne darstellen würden.
Doch neue Forschungsergebnisse einer US-amerikanischen Forschergruppe unter der Leitung von Dr. James De Buizer (SETI Institute) und Dr. Wanggi Lim (IPAC, Caltech) offenbaren ein paradoxes Phänomen:
Fokus auf Sagittarius B1, B2 und C
Die Studie, die auf hochauflösenden Infrarotdaten des inzwischen außer Dienst gestellten NASA-Flugobservatoriums SOFIA sowie des Spitzer- und Herschel-Weltraumteleskops basiert, fokussierte sich auf drei zentrale Sternentstehungsregionen: Sagittarius B1, B2 und C.
Diese liegen nur etwa 300 Lichtjahre vom supermassiven Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße entfernt – und befinden sich damit in einem hochenergetischen, gravitativ komplexen und dynamisch instabilen Umfeld.
Sterne entstehen – aber unterdurchschnittlich
Die Analyse identifizierte 77 massereiche junge stellare Objekte (MYSOs) mit mehr als acht Sonnenmassen – ein klarer Hinweis auf aktive Sternentstehung. Allerdings geschieht dies mit deutlich geringerer Effizienz als in vergleichbaren Regionen weiter außen in der Galaxie.
Zudem deuten die Daten darauf hin, dass die untersuchten Gebiete nur über ein begrenztes Reservoir an dichtem, kompaktem Gas verfügen – was nahelegt, dass sie möglicherweise nur eine einzige Generation massereicher Sternehervorbringen können, bevor das Material verbraucht oder zerstreut ist.
Extrembedingungen hemmen Sternentstehung
Als mögliche Ursachen für diese ineffiziente Sternbildung nennt das Forschungsteam eine Kombination aus hemmenden Faktoren:
- Starke gravitative Wechselwirkungen mit dem zentralen Schwarzen Loch
- Hohe Turbulenz und Scherkräfte im Gas
- Starke Magnetfelder
- Kollisionen mit älteren Sternpopulationen
Diese Prozesse verhindern offenbar, dass sich die vorhandenen Gaswolken ausreichend stabilisieren und fragmentieren, um langfristig als klassische Sternentstehungsgebiete zu fungieren.
Sgr B2 als potenzieller Sonderfall
Eine Ausnahme bildet die Region Sagittarius B2:
Zwar ist auch hier die aktuelle Sternbildungsrate relativ niedrig, doch zeigt Sgr B2 eine besonders hohe Dichte an molekularem Gas.
Das könnte bedeuten, dass diese Region zukünftig einen massereichen Sternhaufen hervorbringen könnte – wenn es die extremen Bedingungen zulassen.

Neubewertung klassischer Sternentstehungsregionen
Bemerkenswert ist auch, dass die Regionen Sgr B1 und Sgr C deutlich vom Verhalten klassischer Riesen-H II-Regionen (GH II) abweichen.
Typischerweise sind GH II-Regionen durch aktive Sternentstehung, hohe Gasdichten, starke Infrarot- und Radiostrahlung sowie eine starke Ionisierung durch neu entstandene, heiße Sterne gekennzeichnet.
Zudem fehlen dort Hinweise auf kalten Staub und dichte molekulare Gasreservoirs, die für die anhaltende Sternbildung nötig wären.
Die Autoren der Studie schlagen daher vor, dass es sich bei diesen Objekten entweder um eine neue Klasse von Sternentstehungsregionen unter extremen Bedingungen handeln könnte – oder dass ihre bisherige Einordnung als GH II-Regionen grundlegend überdacht werden sollte.
Quelle
De Buizer, J. M., Lim, W., Radomski, J. T., & Karnath, N. (2025). Surveying the Giant H II Regions of the Milky Way with SOFIA. VII. Galactic Center Regions Sgr B1, Sgr B2, and Sgr C. The Astrophysical Journal, 983(1), 66.