Schwankende Wasserstände: Wie Flüsse und Seen zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten

Der Mensch hat Flüsse befahrbar gemacht, indem er sie für Schiffe begradigt und Wasserstände künstlich reguliert hat. Normalerweise aber unterliegen die Pegel von Fließgewässern und Seen natürlichen Schwankungen. Dieser natürliche Rhythmus ist jedoch längst aus dem Lot geraten, sagen Experten.

Der Wasserstand kann natürlicherweise oder menschengemacht schwanken.
Der Wasserstand kann natürlicherweise oder menschengemacht schwanken. Bild: David Ausserhofer

Viele Menschen nehmen an, dass ein Fluss gleichmäßig strömt und Seen kaum Schwankungen im Pegelstand zeigen. Doch der Eindruck täuscht, denn tatsächlich sind Veränderungen im Wasserstand ein natürlicher Teil des Ökosystems. Allerdings lässt sich immer schwerer unterscheiden, ob Schwankungen noch natürlich sind – oder bereits Folgen des Klimawandels und menschlicher Eingriffe.

Der Pegelstand ist die Höhe des Wassers über einem festgelegten Pegelnullpunkt. Bereits im Mittelalter wurden Pegel genutzt, um die Schifffahrt oder den Hochwasserschutz zu steuern.

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) untersucht, welche Entwicklungen problematisch sind und welche Lösungen helfen könnten. Denn diskutiert wird meist erst, wenn Schiffe nicht mehr fahren können oder Fluten ganze Landstriche treffen. Dann wirkt es, als hätten unsere Gewässer entweder zu viel oder zu wenig Wasser.

Regulierte Flüsse – scheinbar im Gleichgewicht

Viele Flüsse in Deutschland sind begradigt, kanalisiert und mit Wehren oder Schleusen reguliert. „So wird ein immer gleichbleibender Wasserstand als Normalzustand wahrgenommen“, sagt der Geoökologe Dr. Tobias Goldhammer. Ein Beispiel ist die Berliner Spree, deren Pegel durch Schleusen stark reguliert wird.

Ohne diese Anpassung würde die Spree im Sommer örtlich weniger als halb so viel Wasser führen.

Doch auf Dauer ist das nicht haltbar: Der Tagebau in der Lausitz führte über Jahrzehnte zusätzliches Grundwasser in die Spree. Mit dem Ende der Einleitungen droht der Fluss künftig noch stärker auszutrocknen – ein Problem, das der Klimawandel weiter verschärfen dürfte.

Wenn Flüsse trockenfallen

Weltweit fallen mehr als die Hälfte aller Fließgewässer zeitweise trocken. Für viele Arten sind die Schwankungen Teil ihres Lebenszyklus. „Ein wechselnder Wasserstand kann beispielsweise ein wichtiger Umweltreiz für das Verhalten und den Lebenszyklus sein, etwa für die Wanderung oder die Fortpflanzung von Arten. Doch die steigende Tendenz ist besorgniserregend“, warnt die Gewässerökologin Prof. Sonja Jähnig.

Die Panke in Berlin.
Die Panke in Berlin. Bild: Maria Warter

In ariden Regionen ist das Normalität, doch mittlerweile trifft es auch Mitteleuropa. Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Brandenburg. Langzeitmessungen am Demnitzer Mühlenfließ zeigen, dass in den 1990er Jahren der Bach fast ganzjährig Wasser führte. Heute jedoch liegt er oft trocken, in manchen Jahren mehr als 150 Tage lang. „Wir sehen Ähnliches in mehr und mehr Brandenburger Fließgewässern“, berichtet die Ökohydrologin Prof. Dörthe Tetzlaff.

Grund dafür sind sinkende Grundwasserspiegel und geringere Bodenfeuchte. Selbst starke Sommerregen ändern wenig – sie rauschen oberirdisch ab, anstatt das Grundwasser zu speisen.

Folgen für Artenvielfalt und Wasserqualität

Wo Flüsse versiegen, fehlt Lebensraum. Manche Fische retten sich, indem sie flussaufwärts wandern, wie Beobachtungen italienischer Südströmer zeigen. Doch Schleusen und Wehre blockieren vielerorts die nötigen Wege. „Austrocknende Flussabschnitte können zu ökologischen Fallen werden“, sagt Dr. Franz Hölker vom IGB.

Umso wichtiger ist dann die physische Längsdurchgängigkeit, also dass der Fluss nicht durch menschliche Querbauwerke wie Wehre und Dämme dauerhaft unterbrochen wird.

Auch die Wasserqualität leidet. Geringe Abflüsse führen zu höheren Nährstoff- und Schadstoffkonzentrationen. In Berlin etwa bestehen Panke und Erpe in trockenen Sommern fast vollständig aus geklärten Abwässern. „Hier kommt noch eine zusätzliche Herausforderung dazu: Wegen des geringeren Niederschlags besteht das Wasser der Fließgewässer zu einem hohen Anteil aus gereinigten Abwässern, in trockenen Sommern in Panke und Erpe rund um die 80 bis 100 Prozent“, erklärt Goldhammer.

Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in Seen. Eine Untersuchung an 52 deutschen Seen ergab, dass 71 Prozent seit den 1980er Jahren sinkende Pegel verzeichnen. „Viele Seen, vor allem im Nordosten Deutschlands, sind allerdings von ungewöhnlich niedrigen Wasserständen betroffen, beispielsweise der Arendsee in Sachsen-Anhalt oder der Seddiner See in Brandenburg“, sagt Professor Michael Hupfer. Das begünstigt Erwärmung, Sauerstoffmangel und Algenblüten.

Natur als Verbündete

Wie kann man gegensteuern? Forschende plädieren für naturbasierte Lösungen. Agroforstwirtschaft, Moore und Auen helfen, Wasser länger in der Landschaft zu halten. „Tatsächlich lässt sich mit der Art der Landnutzung der Wasserhaushalt maßgeblich beeinflussen“, sagt Tetzlaff. So puffern Auen Schwankungen ab und dienen zugleich als Lebensraum.

Zusätzliche Überschwemmungsflächen mildern Hochwasser effektiv ab.
Zusätzliche Überschwemmungsflächen mildern Hochwasser effektiv ab. Bild: David Ausserhofer

Auch Hochwasserschutz profitiert. In der Lenzener Elbtalaue wurde ein Deich zurückverlegt, wodurch die Elbe zusätzliche Überschwemmungsflächen erhielt. Mit dem Ergebnis, dass beim Hochwasser 2013 der Scheitelpunkt lokal um fast 50 Zentimeter sank.

Politische Rahmenbedingungen

Deutschland hat sich verpflichtet, die Auenflächen bis 2020 um zehn Prozent auszuweiten. Tatsächlich erreicht wurde bislang nur ein Prozent. Dabei gilt: Auen sind Hotspots der Artenvielfalt und unverzichtbar für einen funktionierenden Wasserhaushalt.

„Unsere Übersichtsstudie hat gezeigt, dass es Lösungen gibt, um den Wasserhaushalt von Fließgewässern zu stabilisieren, die mehrfachen Nutzen für Mensch und Natur haben“, resümiert Sonja Jähnig. Europäische Programme wie der Green Deal oder die Biodiversitätsstrategie sind gute Ansätze – nur müssen sie auch konsequent umgesetzt werden.

Quellenhinweis:

Wang, F., Tetzlaff, D., Goldhammer, T., Freymueller, J., & Soulsby, C. (2025): Hydrological connectivity drives intra- and inter-annual variation in water quality in an intermittent stream network in a mixed land use catchment under drought. Journal of Hydrology.

Haubrock, P. J., Stubbington, R., Fohrer, N., Hollert, H., Jähnig, S. C., Merz, B., Pahl-Wostl, C., Schüttrumpf, H., Tetzlaff, D., Wesche, K., Tockner, K., & Haase, P. (2025): A Holistic Catchment-Scale Framework to Guide Flood and Drought Mitigation Towards Improved Biodiversity Conservation and Human Wellbeing. WIREs Water, 12: e70001.