Nikotin in Berliner Gewässern: Durch Regen gelangt der unsichtbare Schadstoff zunehmend in Seen und Flüsse

Nikotin in Berliner Seen, Flüssen und Kanälen – das klingt zunächst nach einem kuriosen Detail, ist aber das Ergebnis einer umfassenden Untersuchung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).

Die Gewässer Berlins weisen erhöhte Nikotinwerte auf.
Die Gewässer Berlins weisen erhöhte Nikotinwerte auf. Bild: Erik Mclean/Unsplash

Wie gelangt ein Nervengift, das wir vor allem aus Tabakprodukten kennen, ins Wasser? Hauptverursacher sind weggeworfene Zigarettenkippen, die vom Regen ausgewaschen werden. Das gelöste Nikotin wird über Straßenabläufe, Regenrinnen und Kanalsysteme in die Gewässer gespült. In einer Untersuchung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben Forschende nun die Berliner Seen und Flüsse genauer analysiert.

In allen 56 Proben, die im Sommer 2019 aus insgesamt 42 Gewässern entnommen wurden, fanden sich messbare Nikotinmengen. Die Werte schwankten dabei deutlich zwischen 7 und rund 1500 Nanogramm pro Liter.

„Die Hauptquelle für Nikotin ist tatsächlich der Niederschlag beziehungsweise Einleitungen aus der Kanalisation“, erklärt IGB-Forscher Dr. Markus Venohr, Leiter der Studie. Bereits nach 30 Minuten Regen sei die Hälfte des Nikotins aus einer Kippe gelöst.

Unterschiede zwischen den Gewässern

Die Untersuchung ergab, dass in Gewässern mit Kanalisationseinleitungen die mittleren Nikotinkonzentrationen etwa doppelt so hoch waren wie in solchen ohne. Besonders auffällig war der Effekt bei starkem Regen. In Kanälen stiegen die Werte danach auf das bis zu 16-Fache an.

Ursache dafür sind sogenannte First-Flush-Ereignisse. Bei Trockenheit sammeln sich Zigarettenstummel auf Straßen und Plätzen, bis ein Regenguss alles auf einmal in die Kanalisation spült.

Die Unterschiede zwischen den Gewässertypen waren ebenfalls deutlich. Kanäle wiesen die höchsten Konzentrationen auf, gefolgt von Teichen, Flüssen, Seen und kanalisierten Bächen. Neben dem Kanalanschluss spielen auch Haltestellen in der Nähe oder stark frequentierte Naherholungsgebiete eine Rolle.

Ein Beispiel ist Krumme Lanke in Zehlendorf. Obwohl es keinen direkten Kanalanschluss gibt, fanden die Forschenden hier vergleichsweise hohe Nikotinwerte. Vermutlich liegt das an der intensiven Nutzung im Sommer, wenn viele Badegäste und Ausflügler den Uferbereich aufsuchen und dabei offenbar auch Kippen zurücklassen.

Karten des Stadtgebiets. Oben links: Maximale Summe der Niederschläge innerhalb von drei Tagen am Probenahmestandort (innerer Kreis) und im Einzugsgebiet der Kanalisation (äußerer Kreis), unten links: Nikotinkonzentrationen als Mittelwert aller Proben. Oben rechts: unter trockenen Bedingungen, unten rechts: unter regnerischen Bedingungen.
Karten des Stadtgebiets. Oben links: Maximale Summe der Niederschläge innerhalb von drei Tagen am Probenahmestandort (innerer Kreis) und im Einzugsgebiet der Kanalisation (äußerer Kreis), unten links: Nikotinkonzentrationen als Mittelwert aller Proben. Oben rechts: unter trockenen Bedingungen, unten rechts: unter regnerischen Bedingungen. Bild: Venohr et al., 2025

Logischerweise existiert auch ein Zusammenhang mit der Bevölkerungsdichte: Je mehr Menschen im Einzugsgebiet eines angeschlossenen Gewässers leben, desto höher ist die Nikotinbelastung nach Regen.

Gefahr für Kleinstlebewesen

Für die meisten Fische und größeren Wasserbewohner sind die in Berlin gemessenen Werte nicht akut tödlich. Letale Konzentrationen beginnen laut Literatur erst bei 2210 bis 8450 Nanogramm pro Liter. Kritischer ist die Lage jedoch für empfindliche Kleinstorganismen wie Wasserflöhe. Für sie liegt die sogenannte Predicted No Effect Concentration (PNEC) bereits bei 100 Nanogramm pro Liter – ein Wert, der nach Starkregen in Berliner Kanälen deutlich überschritten wurde.

„Um die toxikologische Relevanz besser einschätzen zu können, bräuchten wir systematische Messreihen über längere Zeiträume, besonders in den Sommermonaten“, sagt Markus Venohr. Die jetzige Studie lief nur über sieben Wochen und bildet damit eine Momentaufnahme.

Blick über Berlin hinaus

Die Forschenden verweisen darauf, dass Nikotinbelastungen in anderen Städten noch höher ausfallen können. So wurde in Madrid ein Durchschnittswert von 527 Nanogramm pro Liter gemessen. „Angesichts der allgemein abnehmenden Wasserführung von Gewässern und der Zunahme von einzelnen Starkregenereignissen kann die Nikotinbelastung von innerstädtischen Gewässern auch in Berlin zu einem Problem werden“, warnt Venohr.

Zudem wird aus Zigarettenkippen ein ganzer Cocktail potenziell schädlicher Stoffe ausgewaschen, die einzeln oder alle zusammen weit größere ökologische Auswirkungen haben können.

Neben Nikotin enthalten die Filter beispielsweise Schwermetalle und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die für viele Wasserorganismen giftig sind.

Nikotin in städtischen Gewässern ist kein exotisches Randproblem, sondern ein messbarer Bestandteil der urbanen Schadstoffbelastung. Die Berliner Studie zeigt, wie Wetter, Infrastruktur und menschliches Verhalten zusammenwirken, damit die Substanz in die Umwelt gelangt. Vor allem Regenereignisse entpuppen sich als größter Überträger für Nikotin.

Langfristig könnte eine Kombination aus besserer Abfallentsorgung, Aufklärungskampagnen und technischer Optimierung der Regenwasserbehandlung helfen, die Belastung zu verringern, meinen die Forschenden. Denn so unsichtbar das Nikotin im Wasser auch ist, seine Wirkung auf das Ökosystem bleibt real.

Quellenhinweis:

Venohr, M., Beusch, C., Goldhammer, T., et al. (2025): Spatial distribution of nicotine concentrations in Berlin’s surface waters and their potential sources. Environmental Science and Pollution Research, 32, 6784–6803.