Menschliche Gesichtserkennung: Wie nehmen wir zuverlässig Gesichter wahr? Und wann versagen wir?

Die Frage beschäftigt die Wahrnehmungsforschung seit Langem: Wie wenig Information benötigt das menschliche Gehirn, um ein Gesicht zuverlässig zu erkennen? Die Antwort überrascht selbst Expertinnen und Experten.

Sehen gleich aus? Mit Absicht! Gesichtsmorphing kombiniert die Merkmale zweier (oder mehrerer) Gesichter.
Sehen gleich aus? Mit Absicht! Gesichtsmorphing kombiniert die Merkmale zweier (oder mehrerer) Gesichter. Bild: Jan Rubinowicz/Wikimedia

Schon länger ist bekannt, dass Menschen Veränderungen im Aussehen bemerkenswert wenig ausmachen: Ob Altersanzeichen, Gewichtswechsel, neue Frisuren oder Operationen – unser Gehirn kann Gesichter häufig selbst dann erkennen, wenn markante Merkmale stark verändert sind. Doch wie viele Informationen benötigen wir, um eine Person sicher zu identifizieren? Eine neue Studie ist dieser Frage erstmals auf den Grund gegangen, wobei ein Verfahren namens Morphing eingesetzt wurde.

Beim Morphing werden die Merkmale zweier oder mehrerer Personen rechnerisch zu einem einzigen Bild verschmolzen. Das Ergebnis ist ein sogenannter Morph, eine Mischform der Ausgangsgesichter.

In ihren Experimenten vermischten die Forschenden des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen und der University of East Anglia zunächst drei verschiedene Gesichter miteinander. Die Versuchspersonen erkannten durchschnittlich etwa die Hälfte der ursprünglichen Personen korrekt. Mit jeder zusätzlichen Identität, die in den Morph eingebaut wurde, sank die Trefferquote. Dennoch blieb die Leistung selbst bei Mischungen aus acht verschiedenen Gesichtern über dem Zufallsniveau.

Keine Wiedererkennung ab zehn Gesichtern

Eine deutliche Grenze zeigte sich bei zehn Gesichtern. Ab diesem Punkt fiel die Identifikation auf reine Glückstreffer zurück. Offenbar benötigt das Gehirn eine Mindestmenge an spezifischen Merkmalen, um eine Person wiedererkennen zu können.

„Das deutet darauf hin, dass Gesichtserkennung auch dann möglich ist, wenn man lediglich ein Achtel seiner Identitätsmerkmale zur Verfügung hat.“

– Isabelle Bülthöff, Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik

Die Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn äußerst sparsam mit visuellen Informationen umgeht – und dass unsere mentalen Repräsentationen von Gesichtern vergleichsweise stabil sind.

Die Studie untersuchte ebenfalls, welchen Einfluss persönliche Vertrautheit hat: Bekannte Gesichter wurden zuverlässiger wiedererkannt als unbekannte. Besonders stark ausgeprägt war dieser Effekt bei Personen, zu denen die Teilnehmenden eine enge Beziehung hatten, Familienmitglieder, enge Freunde, Partnerinnen oder Partner.

Hier zeigt sich, wie tief vertraute Gesichter im Gedächtnis verankert sind. Schon kleinste visuelle Hinweise können ausreichen, um die entsprechende Gedächtnisspur zu aktivieren. Das Gehirn greift dabei auf repräsentationale Unterschiede zurück, also darauf, wie detailliert und stabil ein Gesicht intern gespeichert ist.

Vergleichsmaterial hilfreich

Wenn Originalbilder vorhanden waren, verbesserte das ebenfalls die Erkennungsleistung. Sobald Versuchspersonen nicht allein auf ihr Gedächtnis angewiesen waren, sondern Vergleichsmaterial hatten, stieg die Genauigkeit wieder an. Das bestätigt, dass visuelle Kontextinformation selbst unter schwierigen Bedingungen hilfreich ist.

Zehn Gesichter mit ähnlichen Merkmalen lassen sich nicht mehr auseinanderhalten, so die Forschenden.
Zehn Gesichter mit ähnlichen Merkmalen lassen sich nicht mehr auseinanderhalten, so die Forschenden. Bild: Jan Rubinowicz/Wikimedia

Neben den Einsichten, wie die Gesichtswahrnehmung funktioniert, hat die Studie auch Nutzen für praktische Anwendungen. Wenn klarer definiert ist, ab welchem Grad der Bildveränderung Identitätsprüfungen scheitern, können Sicherheitssysteme besser darauf reagieren.

Denkbar wären verfahren zur Vermeidung von Identitätsbetrug, etwa durch manipulierte Ausweisdokumente oder sogenannte morphed passports, bei denen Mischbilder genutzt werden, um mehrere Personen mit einem Pass reisen zu lassen.

Gleichzeitig lassen die Forschenden offen, ob besonders markante oder eher durchschnittliche Gesichter leichter identifiziert werden. Künftige Untersuchungen sollen klären, welche spezifischen Merkmale – etwa Proportionen, Textur oder charakteristische Abweichungen vom Durchschnittsgesicht – besonders widerstandsfähig gegen Verfremdung sind.

Insgesamt zeigt die Arbeit, wie flexibel und effizient das menschliche Gehirn mit visuellen Informationen umgeht. Selbst wenn Identitätsmerkmale drastisch reduziert werden, bleibt ein Mindestmaß an Erkennung erhalten, insbesondere bei vertrauten Personen. Die Forschung rückt damit eine zentrale Frage der Wahrnehmungspsychologie in den Fokus: Wieviel Identität steckt in einem Gesicht, und ab wann verliert es seine individuelle Bedeutung?

Quellenhinweis:

Zhao, M., & Bülthoff, I. (2025): How much face identity information is required for face recognition? Cognition, 262.