Gesichter im Kaffeeschaum: Künstliche Intelligenz hilft, eine häufige Sinnestäuschung aufzuklären

Ein Lächeln im Kaffeeschaum, ein grimmiges Gesicht auf der Baumrinde – warum erkennen manche Menschen Gesichter, wo eigentlich keine sind? Das Phänomen, bekannt als Gesichtspareidolie, beschäftigt Forschende schon lange.

„Nebenprodukt der Optimierung unseres Gehirns“: Menschen entdecken immer wieder Gesichter in unbelebten Objekten – wie hier in dem Schaum auf dem Kaffee.
„Nebenprodukt der Optimierung unseres Gehirns“: Menschen entdecken immer wieder Gesichter in unbelebten Objekten – wie hier in dem Schaum auf dem Kaffee. Foto: JLU/Lisa Dittrich

Ob in Wolken, Baumrinden oder im Milchschaum des Morgenkaffees – viele Menschen nehmen Gesichter wahr, wo eigentlich keine sind. Dieses Phänomen, bekannt als Gesichtspareidolie, ist weit verbreitet, doch die genauen Ursachen sind bisher unklar.

Gesichtspareidolie bezeichnet das psychologische Phänomen, bei dem Menschen zufällig angeordnete Muster – etwa in Wolken, Baumrinden oder Alltagsgegenständen – als Gesichter wahrnehmen. Die Fehlwahrnehmung resultiert aus der evolutionär bedingten Fähigkeit, Gesichter schnell zu erkennen.

Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) sind nun der Frage nachgegangen, warum unser Gehirn diese Sinnestäuschung erzeugt. Ihre Studie, veröffentlicht in PLOS Computational Biology, kommt zu dem Schluss, dass die Fähigkeit, Gesichter in unbelebten Objekten zu erkennen, ein Nebenprodukt der evolutionären Optimierung unseres Gehirns sein könnte.

Gesichtserkennung und Objektklassifikation

Das Forschungsteam der JLU vermutete, dass Gesichtspareidolie darauf zurückzuführen ist, dass das menschliche Gehirn zwei Prozesse gleichzeitig beherrscht: die Erkennung von Gesichtern und die Kategorisierung von Objekten.

Experimentelle Methoden und Analysen
Experimentelle Methoden und Analysen: A) neuronale MEG-Antworten mit den Repräsentationen in neuronalen Netzen, B) fünf aufgabenoptimierte Modelle, C) repräsentative Unähnlichkeitsmatrix, D) multidimensionale Skalierung, E) Repräsentationsähnlichkeitsanalyse. Bild: Gupta & Dobs, 2025

Um diese Hypothese zu überprüfen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neuronale Reaktionen von Testpersonen mit den Ergebnissen künstlicher neuronaler Netzwerke verglichen. Dabei stellten sie fest, dass nur ein spezielles Modell ähnlich wie das menschliche Gehirn auf vermeintliche Gesichter in unbelebten Objekten reagierte – nämlich jenes, das sowohl auf die Identifikation von Gesichtern als auch auf die Einordnung von Objekten trainiert worden war.

„Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass diese Sinnestäuschung auch beim Menschen darauf zurückzuführen ist, dass unser Gehirn zeitgleich gelernt hat, Gesichter zu erkennen und Objekte zu kategorisieren.“
Prof. Dr. Katharina Dobs, Professorin für Angewandte Informatik mit dem Schwerpunkt Kognitive Systeme, Teil des Exzellenzclusters The Adaptive Mind.

Diese Erkenntnis könnte erklären, warum wir Gesichter in Dingen sehen, die eigentlich nichts Menschliches an sich haben. „Wenn wir also in unserem Kaffeeschaum oder in den Wolken ein Gesicht sehen, ist das keine zufällige Kuriosität, sondern ein systematisches Nebenprodukt der Optimierung unseres Gehirns“, erklärt Prof. Dr. Katharina Dobs, Professorin für Angewandte Informatik mit dem Schwerpunkt Kognitive Systeme.

Warum künstliche Intelligenz?

Die Studie der JLU liefert einerseits eine mögliche Erklärung für die Gesichtspareidolie, und verdeutlicht andererseits auch den Nutzen künstlicher neuronaler Netzwerke, die bei der Erforschung komplexer Wahrnehmungsprozesse nützlich sein könnten.

Das Zusammenspiel von menschlichem Sehen und maschinellem Lernen eröffnet auch neue Wege für die Wissenschaft. So könnten etwa ähnliche Methoden genutzt werden, um weitere Rätsel der visuellen Wahrnehmung zu entschlüsseln, beispielsweise warum unser Gehirn unter bestimmten Bedingungen optische Täuschungen erzeugt oder wie wir blitzschnell zwischen verschiedenen Objekten unterscheiden.

Die Erkenntnisse aus Gießen zeigen, dass alltägliche kognitive Phänomene tief in den Mechanismen unseres Gehirns verwurzelt sein können. Was für viele wie ein spielerischer Zufall erscheint – ein lächelndes Gesicht im Schaum unseres Cappuccinos –, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer hochkomplexen kognitiven Fähigkeit.

Quellenhinweis:

Gupta, P., & Dobs, K. (2025): Human-like face pareidolia emerges in deep neural networks optimized for face and object recognition. PLoS Computational Biology.