Meeresspiegel in der Nordsee steigt schneller als gedacht: Wattenmeer verliert seinen natürlichen Küstenschutz

Eine neue Studie belegt, dass viele Tidebecken im deutschen Wattenmeer nicht mit dem steigenden Meeresspiegel mithalten können: Der Meeresspiegelanstieg überholt die natürliche Sedimentation. Der Küstenschutz müsse deutlich ambitionierter werden, mahnen Experten.

Folge des Klimawandels: Der ansteigende Meeresspiegel bedroht das Wattenmeer.
Folge des Klimawandels: Der ansteigende Meeresspiegel bedroht das Wattenmeer. Bild: Hereon/Torsten Fischer

Der Meeresspiegelanstieg bedroht die Nordseeküste stärker als bislang angenommen. Eine neue Studie zeigt, dass die Sedimentablagerungen im Wattenmeer vielerorts nicht mehr ausreichen, um das höher werdende Wasser auszugleichen. Normalerweise sorgen die Sedimente dafür, dass der Meeresboden ansteigt.

„Die Sedimentation in den deutschen Tidebecken ist nicht mehr ausreichend, um den steigenden Wasserständen entgegenzuwirken.“

– Dr. Wenyan Zhang, Geophysiker, Helmholtz-Zentrum Hereon, Institute of Coastal Systems, Co-Autor

Die Forschenden des Helmholtz-Zentrums Hereon analysierten dafür Messdaten aus 25 Jahren, die zeigten, wie sich die flachen Küstenbuchten, die sogenannten Tidebecken, entwickelt haben. Solche Becken sind zentral für den Küstenschutz: Sie puffern Sturmfluten ab und wachsen durch Sedimentablagerungen üblicherweise mit dem Meeresspiegel mit.

Sedimentation reicht nicht mehr

Doch genau diese natürliche Anpassungsfähigkeit hat in den vergangenen Jahren nachgelassen, so das Fazit der in Communications Earth & Environment veröffentlichten Studie. Der Meeresboden der meisten untersuchten Tidebecken steigt nicht mehr schnell genug an.

Von 24 analysierten Becken in der Deutschen Bucht zeigten im Zeitraum von 1998 bis 2022 nur neun ein Höhenwachstum, das den relativen Meeresspiegelanstieg übertraf. Betrachtet man nur die vergangenen zehn Jahre, bleiben sogar nur vier Becken übrig. Für die langfristige Stabilität der Küstenlandschaft sind das alarmierende Befunde.

Alte Annahmen stimmen nicht mehr

Neben den aktuellen Entwicklungen offenbarten die Forschenden auch methodische Probleme der Vergangenheit. Die Höhenveränderungen der Tidebecken seien über Jahrzehnte falsch eingeschätzt worden. Messungen wurden mit unterschiedlichen Verfahren durchgeführt, wodurch kleinräumige Strukturen wie Priele oder Rinnen nicht ausreichend erfasst wurden.

Das führte in früheren Untersuchungen immer wieder zu Verzerrungen.

Sedimentzunahmen seien dadurch vielfach überschätzt, Erosionsprozesse unterschätzt worden, erklärt Zhang. Nach einer umfassenden Datenbereinigung ergibt sich nun ein deutlich präziseres Bild, und das ist ernüchternder als alle bisherigen Einschätzungen.

„Unsere Studie ergibt ein deutlich klareres und besorgniserregenderes Bild als bisher in der Wissenschaft angenommen“, sagt Zhang. Daraus folge, dass heutige und zukünftige Maßnahmen im Küstenschutz und in der Klimaanpassung deutlich umfassender und ambitionierter ausfallen müssten.

Warum sinkt die Sedimentation?

Auf Basis der bereinigten Daten will das Hereon-Team nun untersuchen, weshalb die Sedimentzufuhr zurückgeht. Als mögliche Ursachen nennen die Forschenden den beschleunigten Meeresspiegelanstieg, gestörte Ökosysteme, geringere Sedimentlieferungen aus Flüssen oder menschliche Eingriffe wie Hafenbau.

Verschiedene Faktoren könnten die Selbstregulationsfähigkeit des Wattenmeers schwächen, was sich wiederum auf den natürlichen Schutzwall der Küste auswirkt.

Das Helmholtz-Zentrum Hereon setzt dabei auf modernste Analyseverfahren, Modellierungen, künstliche Intelligenz und digitale Zwillinge. Rund 1000 Mitarbeitende arbeiten daran, die Dynamik von Klima- und Küstensystemen besser zu verstehen und das Wissen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nutzbar zu machen. Ihr Ziel: eine nachhaltige, widerstandsfähige und lebenswerte Küstenregion, trotz steigender Meere.

Quellenhinweis:

Miao, B., Arlinghaus, P., Hagemann, H., Schrum, C., & Zhang, W. (2025): Misconception of coastal morphological resilience caused by inconsistent resolution in bathymetry mapping. Communications Earth & Environment.