Kann ein Gesellschaftsrat zur Lösung der Klimafragen beitragen?

Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ fordern einen Gesellschaftsrat per Losentscheid, damit es in Deutschland endlich mit den Maßnahmen gegen die Klimaveränderungen vorangeht. Kann das zum ersehnten Umbruch führen?

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Demonstranten für Wechsel in der Klimapolitik.

Wenn es nach den Klimaaktivisten der Letzten Generation geht, werden schon bald einige Menschen in Deutschland einen Brief erhalten, in dem sie zur Teilnahme an einem neu zu gründenden Gesellschaftsrat aufgefordert werden. Auch der Oberbürgermeister von Hannover, Belit Onay, unterstützt die Forderung. Er hat mit Vertretern der Letzten Generation ausgehandelt, dass sie im Gegenzug ihre Protestaktionen in seiner Stadt einstellen

Listen to the People - and not the Science

Die Letzte Generation verabschiedet sich mit ihrem Vorgehen von den Fridays for Future. Deren Credo „Listen to Science“ also „Hört auf die Wissenschaft“ reiche nicht mehr aus. Die weltweite Klimawissenschaft wisse zwar, was zur Lösung der Klimaprobleme zu tun sei. Auch haben seit dem Schulstreik für das Klima von Greta Thunberg die Fridays for Future-Aktivisten die Politik ständig auf die Expertenaussagen sowie ihre eigenen Versprechen hingewiesen. All das zeige aber keine Wirkung.

Mit dem Vorschlag zur Einsetzung eines Gesellschaftsrats aus allen Schichten der Bevölkerung bricht die Letzte Generation auch mit den demokratischen Usancen unseres politischen Systems, in dem sie die Entscheidungskompetenz in die Hände der Bürger legt. Diese würden dann zur entscheidenden Instanz im Kampf gegen die Erderwärmung. Ihre Absicht: Wenn diejenigen, die dem Volk am ähnlichsten sind, einen Vorschlag ausarbeiten, dann wird er auf größeren Zuspruch treffen.

Vorbild: Die Pariser Kommune

Dieser Bürgerrat während der revolutionären Unruhen im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, gilt noch heute als Vorbild für Systeme, in denen Bürgerräte das politische Tagesgeschäft leiten sollen. Konkret wurden in der Pariser Kommune aus jedem Wahlkreis per Allgemeinwahlrecht Stadträte bestimmt, die Ämter im Rat besetzten. Die Repräsentanz der Bevölkerung sei der Vorteil an der Kommune: „Die große soziale Maßregel der Kommune war ihr eigenes arbeitendes Dasein.“ Nichts anderes sei nun das, was die Letzte Generation fordert: Einen Plan, der im Sinne der Menschen geschrieben wird.

Auch aktuell ist das Konzept von Bürgerräten nicht unbekannt. In Irland konnte so die strenge Regelung, die Abtreibung in fast allen Fällen verbot, geändert werden. Aus Angst, Wähler zu verlieren, hatte sich jede Regierung einer Entscheidung entzogen. Stattdessen wurde eine zufällig bestimmte „Citizen Assembly“ einberufen, die dafür war, das Gesetz zu ändern. Ein Referendum auf der Basis dieses Vorschlags wurde von der Bevölkerung angenommen. Die irische Regierung umging also die Hürden der demokratischen Prinzipien. Der Wille des Volkes wurde umgesetzt. Die Letzte Generation bezeichnet die verschiedenen Bürgerräte, die in Deutschland bereits existieren, als zahnlose Tiger.

Vorgehensweise und mögliche Vorteile

Der Gesellschaftsrat soll frühzeitig medial begleitet werden. Er soll sich vor allen Dingen konkret mit der Frage beschäftigen, wie Deutschland bis 2030 klimaneutral werden kann.

Der Gesellschaftsrat klingt in der Theorie durchaus vorteilhaft: Menschen, die der politischen Debatte sonst fernbleiben, würden eingebunden. Positionen, die sonst nicht artikuliert würden, werden diskutiert. Auch die Wahrnehmung der Thematik in der Gesellschaft würde erhöht werden. Die plausible Stoßrichtung: Wer Politik für alle machen will, muss alle miteinbeziehen.

Die Bundesregierung solle versprechen, den erarbeiteten Plan 1:1 umzusetzen. Unmittelbare politische Macht erhält der Gesellschaftsrat also nicht. Bestehende Machtstrukturen würden nicht verworfen.

Die Aktivisten der Letzten Generation, die zivilen Ungehorsam leisten und deshalb von großen Teilen der Gesellschaft als Klimaterroristen angesehen werden, fordern nun mehr Gehör in der Gesellschaft. Statt nur zu stören, wollen sie auch kommunizieren.

Viele offene Fragen – aber ein Diskussionsansatz auf alle Fälle

Es bleibt fraglich, ob das Konzept des Gesellschaftsrats tatsächlich eine umsetzbare Lösung für die Klimakrise darstellen wird. Die Letzte Generation lässt offen, wie das neue Gremium gegen Kapitalinteressen ankommen soll. Auch jeglicher Ansatz für internationale Kooperation fehlt.

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