Gute Stimmung fürs Klima machen
Kipppunkte für das Klima bezeichnen die Gefahr von Klimaveränderungen, die sich nicht rückgängig machen lassen. Dies trifft selbst dann zu, wenn es uns in Zukunft gelingen sollte, die fortschreitenden Erderwärmung wieder abzubremsen.

Kipppunkte betreffen insbesondere Permafrostböden, die beim Auftauen Methan freisetzen oder Gletscher, die durch das Abschmelzen instabil werden.
Die Gefahren durch Kipppunkte gelten als besondere Herausforderungen. Sie lassen den Kampf gegen die Erderwärmung als gefährliche Gratwanderung erscheinen, bei der jede falsche Entscheidung zur Verstärkung der Katastrophe führen kann.
Wenig erforscht, und trotzdem vorhanden sind auch andere, optimistischer geprägte Kipppunkte. Diese haben allerdings nicht unmittelbar Auswirkungen auf die Klimaveränderungen, können aber langfristig trotzdem zu einer Begrenzung der Erderwärmung führen. Es handelt sich dabei um Kipppunkte, die nicht das Klimasystem selbst betreffen, sondern deren Umgang mit den Klimaveränderungen.
Von positiven Kipppunkten
Eine Forscherin, die sich mit dieser Thematik beschäftigt, ist Ilona Otto vom Wegener Center der Universität Graz. Sie leitet dort eine Forschungsgruppe zu Sozialer Komplexität und Systemtransformation, in er sie und ihr Team untersuchen, ob und wie es möglich ist, das Thema Klimaschutz zu einer Multiplikationswirkung zu führen.
Das kann immer dann geschehen, wenn schnell verbreitete, neue Technologien, veränderte Verhaltensweisen oder progressivere, soziale Normen im Spiel sind. In solchen Fällen spricht man von „social tipping point elements“, also von sozialen Kipppunkten.
Bei deren Auftreten sind kurzfristige, disruptive Veränderungen möglich, die am Ende auch zu einer ausreichend schnellen Reduktion des Treibhausgasausstoßes führen könnten.
Wenig positive Voraussetzungen
Wie aber können diese sozialen Kipppunkte getriggert, also ausgelöst werden? Diese Frage stellt sich insbesondere bei einem Blick auf die demokratische Landschaft Europas, aber auch darüber hinaus, ganz speziell in Bezug auf die klimaleugnende Politik der USA.
Die aktuelle Situation macht es politischen Kräften, die für starke Klimaschutzmaßnahmen eintreten, sehr schwer. Dies hat dazu geführt, dass ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen generell nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden.
Aus der Arbeit von Ilona Otto und ihrem Team geht hervor, dass es eventuell nicht nötig ist, im Falle sozialer Kipppunkte eine Mehrheit der Gesellschaft „hinter ein Thema“ zu bringen, um eine Veränderung zu erreichen.
In ihrer kürzlich im Fachjournal Earth System Dynamics erschienenen Studie zeigt sie mit einem Team vom Wegener Center, sowie Fachleuten aus den USA und Schweden auf, dass bereits 25 Prozent der Bevölkerung ausreichen können, um eine größere Mehrheit zur Übernahme sozialer Normen zu bewegen. Viele Menschen seien dann bereit, sich dieser vermeintlichen Minderheit anzuschließen.
Entscheidend sei nach der Studie, dass die angestoßene Veränderung „nichtlinear“ ist. Dieser Ausdruck steht für ein Verhalten eines Systems, bei dem kleine Änderungen große Wirkung entfalten können. Bekannt ist der Begriff aus der Welt der ebenfalls oft nichtlinearen Wetterphänomene. Auch Epidemien können ein nichtlineares Verhalten zeigen, wenn zum Beispiel die Zahl der Krankheitsfälle nicht konstant, also linear, sondern explosionsartig ansteigt.
Auch Martin Luthers Thesen sind ein Beispiel für nichtlinearen Wandel. Dank der damals neuen Technologie des Buchdrucks wurden die Thesen so stark verbreitet, dass daraus die protestantischen Kirchen entstanden.
Normalität Solarzelle
In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD erinnerte Otto daran, dass es auch im Klimaschutz Bereiche gebe, wo das bereits geschehen sei.
sagte sie dem STANDARD. Es sei völlig normal geworden, dass eine Wärmepumpe die erste Wahl ist.
Dieser Satz zeigt, dass das Interview in Österreich geführt wurde, denn in Deutschland hat die Diskussion um das „Heizungsgesetz“ aus dem Jahre 2024 durch die mediale Berichterstattung eher zur Verunsicherung beigetragen als für Klarheit gesorgt.
Otto versuchte mit ihrem Team, weitere geeignete Maßnahmen zu identifizieren, die das Kippen „triggern“ könnten.
Laut einer älteren Studie im Fachjournal PNAS erschien, könnten soziale Kipppunkte unter anderem durch ein Ende der Förderungen für fossile Energie, klimafreundlichere Städte, bessere Bildung zum Thema Klimawandel und bessere Information über dessen Folgen aktiviert werden.
Mächtige Gruppierungen
Allerdings ist der Optimismus von Ilona Otto heute etwas gedämpft.
betonte sie im Gespräch mit dem STANDARD.
Ein weiteres Hindernis für eine positive Veränderung sieht Otto in einer „Atomisierung“ der Gesellschaft nennt.
Dadurch werde Veränderung erschwert, denn es brauche gemeinsame Plätze, um in einen Austausch zu kommen.
Wie aber sieht das Risiko einer gegenteiliger Kippbewegung aus? Könnten also die Zweifler und Leugner des Klimawandels nicht noch stärker werden?
Otto bestätigte in dem Gespräch, dass sie diese Gefahr tatsächlich sehe. Allerdings ginge es weniger um die Gefahr einer echten Leugnung des Klimawandels, sondern vielmehr um das Gefühl, ohnehin machtlos zu sein, oder
Verzicht tut uns gut
Ein Hindernis für Veränderung sei die Konzentration auf Zahlen und Fakten in der Klimakommunikation.
Uns Menschen gibt es seit etwa 300.000 Jahren. Schrift und Zahlen gibt es seit etwa 5000 Jahren. Wir können mit Zahlen immer noch nicht gut umgehen und müssten uns mehr auf Emotionen und Narrative konzentrieren.
Doch wie kann man den starken Emotionen beikommen, die vor allem Klimaschutzgegner gekonnt mobilisieren? Ottos Meinung nach müssen wir deutlicher kommunizieren, dass Klimaschutz kein Verzicht ist, sondern uns gut tut. Als Beispiel dafür nennt sie einen reduzierten Fleischkonsum:
Quellenhinweis:
The Pareto effect in tipping social networks: from minority to majority