Flieg, Samen, flieg! So trickst die Pusteblume den Wind aus – neue Studie überrascht

Die Pusteblume entpuppt sich nicht als passiver Verbreiter, sondern als akribisch geformte „Verbreitungsmaschine“, die abstrahiert betrachtet ein einfaches, aber wirkungsvolles Prinzip verfolgt: durch asymmetrische Haftung die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Samen bei günstigem Wind in die Ferne getragen werden.

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Löwenzahn kontrolliert den Flug: Forscher enthüllen, wie Pusteblumen ihre Samen steuern

Neue Forschung zeigt, dass die Ablösung von Löwenzahnsamen kein reines Glücksspiel des Windes ist, sondern von einer feinen morphologischen Asymmetrie gesteuert wird.

Wer schon einmal in eine Pusteblume geblasen hat, kennt das Bild

Manche Samen lösen sich mühelos und steigen davon, andere bleiben trotz kräftigen Luftzugs hartnäckig hängen.

Was wie Zufall wirkt, ist nach einer aktuellen Untersuchung kein zufälliges Ereignis, sondern das Ergebnis einer evolutionär geformten Mechanik.

Eine internationale Forschergruppe um Jena Shields (Cornell University, Australian National University) legt im Journal of the Royal Society Interface eine präzise Analyse vor, die die Ablösung — die sogenannte Abscission — von Löwenzahnsamen als richtungsabhängigen Prozess beschreibt.

Messungen mit überraschenden Zahlen

Die Autorinnen und Autoren bestimmten experimentell die Kraft, die nötig ist, um einzelne Samen aus dem Samenstand zu lösen. Die Ergebnisse sind deutlich:

Je nach Richtung variiert die Abreißkraft um mehr als eine Größenordnung; in manchen Vergleichen liegt der Unterschied bei über hundertfach.

Bei den Versuchen zeigte sich: Zum Herausziehen eines Samens nach oben brauchte man im Durchschnitt 45 Millinewton. Wird der Same seitlich gegen den Stiel gezogen, reichen schon etwa 1,3 mN, und in windgünstiger Richtung sogar nur rund 0,26 mN. Statistische Tests bestätigen, dass diese Unterschiede sehr deutlich sind.

Asymmetrie als Mechanismus

Die Ursachen dafür finden sich auf mikroskopischer Ebene. Elektronenmikroskopie, konfokale Aufnahmen und Mikro-CT zeigen eine deutliche Asymmetrie in der Struktur der Haftstelle:

  • Zur Stängelseite hin existiert eine verstärkte, stützende Zone; zur Oberseite des Samenstands hin fehlt diese Unterstützung.
  • Diese Geometrie bewirkt, dass Samen, die vom Wind „von oben“ oder in Richtung des Kapitulums gedrückt werden, leichter rotieren und sich lösen, während Zug in andere Richtungen deutlich mehr Kraft erfordert.

Mechanistisches Modell verbindet Form und Funktion

Die Studie geht über reine Beobachtung hinaus: Ein mechanistisches Modell, das Geometrie und Materialeigenschaften von Pedikel und Ansatz berücksichtigt, reproduziert die gemessenen Kraftverhältnisse in guter Näherung.

Damit liefern die Forschenden eine plausible physikalische Erklärung für das beobachtete Richtungs-Bias die Pflanze beeinflusst demnach nicht nur, wie weit ein Samen fliegen kann, sondern auch, unter welchen Windbedingungen er überhaupt losgelassen wird.

Ökologische und praktische Relevanz

Für die Pflanzenökologie hat das Ergebnis Konsequenzen: Viele Dispersionsmodelle behandeln Windrichtung als zufälligen Einflussfaktor; die neue Arbeit zeigt, dass Richtung und richtungsabhängige Ablöseschwellen das Dispersionsprofil beträchtlich verändern können.

Das betrifft Prognosen zur Ausbreitung wildwachsender Arten, zur Einschätzung invasiver Risiken und zur Modellierung unter veränderten Windverhältnissen infolge des Klimawandels.

Auch technische Adaptionen sind denkbar:

Die Idee einer rein mechanisch gesteuerten, richtungsabhängigen Auslösung kann für die Bionik interessant sein — etwa für passive Auslöser in Mikro-Robotik oder für energiearme Sensoren, die nur unter bestimmten Zugrichtungen reagieren.

Offene Fragen

Die Autorinnen und Autoren nennen mehrere offene Punkte: Messungen der mechanischen Materialparameter (z. B. Young-Modul des Pedikels), die Variabilität zwischen Populationen und die Übertragbarkeit der Laborbefunde in Feldbedingungen stehen noch aus.

Insbesondere wären gekoppelte Feldmessungen von Windfeldern und Ablösedynamik ein nächster Schritt, um den Laborbefund in naturnahe Szenarien zu übertragen.

Quelle

Shields, J. R. et al., Letting go with the flow: directional abscission of dandelion seeds, Journal of The Royal Society Interface (2025). DOI: 10.1098/rsif.2025.0227