Spukgeschichten für kalte Nächte: Edinburghs geisterhafte unterirdische Altstadt

Unter der glitzernden Royal Mile der schottischen Hauptstadt verbergen sich Häuser und Gassen des späten Mittelalters. In „Mary King’s Close“ wird ein Stück Geschichte lebendig - und manchmal sollen auch Geister erwachen.

Royal Mile
Unter der Prachtstraße Edinburghs befinden sich lange vergessene Teile der Altstadt. Foto: Adobe Stock

Die Tür fällt ins Schloss. Dunkelheit senkt sich über die Besuchergruppe. Eine junge Frau im schlichten Kleid mit Haube knipst ihre Taschenlampe an. Sie sei eine Tochter von Mary King, behauptet sie, und macht einen tiefen Knicks.

Vorsicht vor dem Inhalt ausgekippter Nachttöpfe

Sie erzählt vom billigen Fischöl, mit der ihre Nachbarn im Gassengewirr links und rechts von Edinburghs glamouröser Prachtstraße Royal Mile ihre Stuben beleuchten. Sie schildert das Getümmel zwischen den Häusern, erzählt von Taschendieben und warnt vor der schlechten Angewohnheit vieler Bewohner, ihre Nachttöpfe aus den Fenstern zu entleeren.

Das klingt alles reichlich seltsam? Kein Wunder. Die Geschäftsfrau Mary King lebte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ebenso wie ihre Tochter, eines von vier Kindern Marys.

Die Touren auf Marys Spuren, stilecht inszeniert von kostümierten Führern und Statisten, erfreuen sich in Edinburgh großer Beliebtheit. Die Guides erzählen Spuk-Storys, aber auch wahre Geschichten von den Menschen, die einst in Mary King’s Close lebten - die Straße erhielt ihren Namen in Anlehnung an die einstige Bewohnerin.

Türschilder aus dem 18. Jahrhundert

Marys kostümierte Tochter führt die Gäste Treppenstufen hinab und öffnet eine weitere Tür zu einer halbdunklen Gasse. Links und rechts erheben sich die Fassaden uralter Häuser. Am Ende von Mary King’s Close baumeln graue Textilien auf einer Leine: Waschtag in einer Straße, die schon sehr lange kein Tageslicht mehr gesehen hat.

City Chamber
Unter dem Rathaus der schottischen Hauptstadt geht's ins Mittelalter. Foto: Adobe Stock

Was war hier geschehen? 1753 wurde der Royal Exchange auf einem Stück der Altstadt errichtet. Die oberen Etagen der siebenstöckigen Mietshäuser wurden für die neue Börse abrasiert. Nur die Basis blieb, um den Neubau zu stützen. Aus dem lebhaften Handelsviertel wurde eine unterirdische Geisterstadt, in der sogar noch Tür- und Straßenschilder aus dem 18. Jahrhundert erhalten sind.

Unterirdische Geisterstadt im Herzen von Edinburgh

Die Bewohner waren nicht glücklich, ihre Heimat aufgeben zu müssen. Und sie ließen sie stiller und verlassener zurück als jede Pestepidemie der Jahrhunderte zuvor. Einige aber weigerten sich, ihre Heimat zu verlassen, und lebten fortan im Halbdunkel.

Erst 1902 konnte der letzte Bewohner durch eine Abstandszahlung dazu bewegt werden, seine Wohnung aufzugeben. Danach blieb die Stadt unter der Stadt für lange Zeit abgesperrt.

Kaum verwunderlich ist, dass in Edinburgh viele Spukgeschichten aus der Unterwelt kursierten. Viele Menschen glaubten, die Gassen unter dem heutigen Rathaus wären von Erscheinungen und unzufriedenen Geistern der Vertriebenen bevölkert, die lautstark ihr Los beklagen.

Archäologen legten vier Gassen unter der Altstadt frei

Erst 2001 begannen Archäologen, sich mit der verborgenen Altstadt unterhalb der Burg von Edinburgh zu beschäftigen. Sie legten vier Gassen frei - ein gut erhaltenes Stück Mittelalter, das eine beklemmende, finstere Vergangenheit lebendig macht.