Astronomen beobachten das „Erwachen“ eines 6 Milliarden Lichtjahre entfernten Schwarzen Lochs
Eine bahnbrechende Studie enthüllt das Erwachen eines AGN und intensive Sternentstehung in einem verschmelzenden Galaxienhaufen und bietet einen einzigartigen Einblick in die kosmische Evolution.
Galaxienhaufen sind riesige Ansammlungen von Galaxien und heißem Gas, die im Allgemeinen als „entspannt” oder „nicht entspannt” kategorisiert werden. Während entspannte Galaxienhaufen einen kühlen Kern haben, in dem das Gas effizient abkühlt, sind nicht entspannte Galaxienhaufen aufgrund von Verschmelzungen recht turbulent.
Normalerweise fungieren AGN-Jets in kühlen Kernen als kosmischer Thermostat und regulieren die Abkühlung. Eine aktuelle Studie hat jedoch Zwischenfälle entdeckt, die diese einfache Dichotomie in Frage stellen und uns helfen, die Entwicklung der massereichsten Cluster zu verstehen.
CHIPS 1911+4455, ein Cluster mit einer Rotverschiebung von z = 0,485, ist eines dieser besonderen Beispiele, die die typischen Erwartungen an kühle Kerne in Frage stellen. Im Gegensatz zu den meisten anderen beherbergt er eine zentrale Galaxie (BCG) mit explosiver Sternentstehung und einer stark gestörten Form.
Röntgenbeobachtungen ergaben, dass die Galaxie einen stark abkühlenden Kern besitzt, mit einer der niedrigsten zentralen Entropie und Abkühlungszeit, die bisher bekannt sind. Trotz dieser Eigenschaft des kühlen Kerns ist sie einer der unregelmäßigsten Cluster, was darauf hindeutet, dass sie stark gestört ist.
Das vorgeschlagene Szenario legt nahe, dass eine große Fusion lokale Instabilitäten in ihrem Kern ausgelöst hat, was wiederum eine schnelle Abkühlung des Gases und die Entstehung von Sternen zur Folge hatte. Das Vorhandensein von molekularem Gas im gleichen Raum wie das BCG stützt diese Vorstellung von Gezeitenwechselwirkungen im Zusammenhang mit der Fusion.
Den Riesen wecken: Ein AGN in seiner kosmischen Kindheit
Bislang gab es keine spezifische Studie, die sich mit dem Zustand des zentralen AGN in diesem besonderen Cluster befasste. Es ist von grundlegender Bedeutung, seine Rolle zu verstehen, da man davon ausgeht, dass dieser AGN und die Sternentstehung sich aus demselben kühlenden Gas speisen. Welche Geheimnisse könnten uns seine Radioemissionen offenbaren?
Um dieses Rätsel zu lösen, wurden neue und detaillierte Radiobeobachtungen mit dem Very Long Baseline Array (VLBA) und dem Jansky Very Large Array (JVLA) bei mehreren Frequenzen (von 0,3 bis 5 GHz) und Entfernungen von 0,01 bis 20 kpc durchgeführt.
Die VLBA-Daten zeigten, dass der AGN kürzlich erwacht ist, da ein kompakter Kern mit symmetrischen Jets von etwa 30 Parsec Länge beobachtet wurde. Es ist, als würde man einem kosmischen Baby bei seinen ersten energischen Schritten zusehen!
Dieser kompakte Kern mit einem charakteristischen „spitzen“ Radiospektrum klassifiziert ihn als Gigahertz-Spitzen-Spektrum (GPS)-Radiogalaxie. Dies deutet darauf hin, dass die Aktivität des supermassiven Schwarzen Lochs (SMBH) erst vor sehr kurzer Zeit, vielleicht erst vor 1.000 bis 10.000 Jahren, begonnen hat.
Sternenfabriken und kosmischer Staub
Zusätzlich zu den jungen AGN enthüllten die JVLA-Beobachtungen etwas Faszinierendes. Auf größeren Skalen, etwa 10 kpc, wurden schwache „Whisker” von Radioemissionen entdeckt, die sich vom Zentrum des Galaxienhaufens nach Süden erstreckten, wobei einige Strukturen besonders gut sichtbar waren.
Diese Radio-Whisker stimmen auffallend mit den Sternentstehungsknoten überein, die bereits auf Bildern des Hubble-Weltraumteleskops (HST) identifiziert wurden, was stark darauf hindeutet, dass es sich um Synchrotron-Emissionsgebiete handelt, die durch Sternentstehung angetrieben werden und wahrscheinlich das Ergebnis von Supernova-Explosionen sind.
Die aus der Radioluminanz dieser Whisker geschätzte Sternentstehungsrate (SFR) liegt zwischen 100 und 155 Sonnenmassen pro Jahr. Diese Zahl stimmt bemerkenswert gut mit den Schätzungen aus dem optischen/infraroten Bereich überein, die Werte zwischen 140 und 190 Sonnenmassen pro Jahr ergeben.
Andere mögliche Erklärungen für kollimierte AGN-Jets oder fossile Lappen aus einem früheren Ausbruch wurden aufgrund ihrer morphologischen Merkmale, ihrer Asymmetrie und ihres relativ flachen Spektralindexes ausgeschlossen, was überwältigend dafür spricht, dass es sich um von Sternen erzeugte Radioemissionen handelt.
Eine neue „Geschmacksrichtung“ in der kosmischen Evolution
CHIPS 1911+4455 stellt eine entscheidende Übergangsphase in der Entwicklung von Galaxienhaufen dar. Der AGN der Zentralgalaxie hat gerade begonnen, auf das reichlich vorhandene abkühlende heiße Gas zu reagieren, ähnlich wie bei „Pre-Feedback“-Haufen, in denen Radiogalaxien noch sehr jung sind.
Die Eigenschaften des heißen Gases mit einer deutlich geringeren Entropie (etwa 1,6-mal geringer als der Durchschnitt für Cluster mit kaltem Kern) scheinen eine wichtige Voraussetzung für die Effizienz der Gaskühlung zu sein und offenbar die AGN-Aktivität auszulösen – so etwas wie ein kosmischer Schalter.
Allerdings verkompliziert dies die Situation zusätzlich, da dieses System im Gegensatz zu anderen Vor-Feedback-Clustern aufgrund einer laufenden Fusion erhebliche Asymmetrien aufweist, was darauf hindeutet, dass die Abkühlung nicht nur auf die fehlende AGN-Aktivität zurückzuführen ist, sondern auch auf dynamische Störungen.
Diese besondere „Variante“ von Clustern bietet eine einzigartige Perspektive darauf, wie Verschmelzungen, kaltes Gas, Sternentstehung und AGN-Rückkopplung zusammenwirken, und lässt uns vermuten, dass diese Systeme – mit intensiven kühlen Kernen und neu aktivierten supermassiven Schwarzen Löchern – häufiger vorkommen könnten als bisher angenommen.
Quellenhinweis:
JVLA and VLBA Study of the Merging Cool Core CHIPS 1911+4455 at z ∼ 0.5 Radio Emission from an Infant Active Galactic Nucleus and from a Rapidly Star-forming Brightest Cluster Galaxy. Francesco Ubertosi et al. 2025 ApJ 989 128.