Städte der Zukunft: Von versteckten Autos
Stadtautobahnen galten viele Jahre als Symbole des Fortschritts. Ihre breiten grauen Bänder, oft gut gefüllt mit Blechlawinen, bohrten sich durch das urbane Gefüge. Damit lag die Priorität der Städte auf dem Statussymbol unserer Zeit: dem Auto.

In vielen europäischen Städten hat eine Trendwende begonnen. Die heutigen Stadtplaner denken fortschrittlicher, was auch den Folgen des Klimawandels und den dadurch notwendigen Umbaumaßnahmen der Verkehrsstrukturen geschuldet ist.
Nun werden Betontrassen überdeckt oder zurückgebaut. Manchmal werden sie sogar ganz dem Abriss preisgegeben.
Der Paradigmenwechsel ist in vollem Gange. In vielen Städten wurden Autobahnen durch Parks, Promenaden und öffentliche Lebensräume ersetzt. Damit wurde der gewonnene Raum den Menschen zurückgegeben, die in der Stadt leben.
Beispiel 1: Zürich
Wo einst der Lärm der Autobahn die Bewohner quälte, erstreckt sich heute ein Park. Seit den 80er-Jahren durchschnitt die Autobahn den dicht besiedelten Zürcher Stadtteil Schwamendingen.
Täglich rollten 120.000 Fahrzeuge über die Strecke zwischen Aubrugg und dem Schöneichtunnel. Mehr als 25 Jahre lang kämpften die Anwohnerinnen und Anwohner für eine Überdachung. Im Mai 2025 war es endlich soweit: Die Stadt Zürich schenkte der Bürgerschaft nun die »Einhausung Schwamendingen«.
Auf deren Dach, auf einer Höhe von gut 8 Metern, entstand auf einer Länge von rund 950 Metern ein gut 30 Meter breiter, neuer Freiraum – der Ueberlandpark. Wege laden zum Verweilen ein, bieten einzigartige Naturerlebnisse und zeigen, wie die Natur mitten in der Stadt aufblüht.
Ursprünglich sah das Projekt von 2006 nur eine Basisbegrünung und eine minimale Oberflächengestaltung der Einhausung vor. Die Anforderungen an eine zeitgemäße Parkgestaltung haben sich auch infolge der Klimakrise markant verändert. So entstanden zusätzliche Bäume und Sträucher, Spielplätze, Aktivitätsbereiche und Brunnen, ein Pavillon mit gastronomischem Angebot und WC-Anlagen und Schattendächer und weitere Aufenthaltsflächen für heiße Tage.
Beispiel 2: Madrid
Schon vor 15 Jahren hatte Madrid Teile der Stadtautobahn M-30 in einen Tunnel verbannt und damit auch den Zugang zum Wasser wieder hergestellt. Damit verlegte die Stadt Spaniens meistbefahrene Verkehrsader unter die Erde. Das Tunnelbauwerk kostete rund vier Milliarden Euro. Zuvor dröhnte jahrzehntelang links und rechts des Ufers des Rio Manzanares der Verkehr.
Nach dem Tunnelbau wurde der rund sieben Kilometer lange Streifen am Fluss Manzanares in eine grüne Oase verwandelt. Die Eröffnung des Parque Madrid Río mit rund 33.000 Bäumen fand im Jahre 2011 statt.
Die Umgestaltung galt lange als anspruchsvollstes Begrünungsprojekt Europas. Nun hat es den Bewohnerinnen und Bewohnern zu neuer Lebensqualität verholfen. Der sichere und autofreie Radverkehr im Park gab den Startschuss für eine neue Radkultur in Madrid.
Beispiel 3: Utrecht
Im Jahr 2020 eroberte sich das Wasser den Utrechter Catharijnesingel-Kana zurück. Mehr als fünfzig Jahre gehörte der Kanal den Autos. In den expansiven Siebzigerjahren goss man Beton in die Gracht und baute so einen zwölfspurigen Stadtautobahnabschnitt.
Für die Planer besonders peinlich war die Tatsache, dass die Asphaltschlucht nur einen Kilometer lang war und an beiden Enden in zweispurige Zufahrtsstraßen überging.
Im Jahr 2002 entschieden die Bürger per Volksabstimmung, dass die seltsame Straße wieder durch einen Wasserlauf ersetzt werden soll. Danach, im Jahr 2010, korrigierte die Fahrradstadt Utrecht ihren Planungsfehler. Sie riss die Autobahn ab und ließ den Kanal wieder fluten.
Der sechs Kilometer lange Uferbereich wurde neu gestaltet und bepflanzt. Nun haben Fußgänger Vorrang und können den öffentlichen Raum für Sport und Freizeit nutzen. Ein willkommener Nebeneffekt in Zeiten des Klimawandels: Wasser und Kanäle kühlen die Stadt.
Beispiel 4: Paris
Die einst stark befahrene Schnellstraße Voie Georges-Pompidou am rechten Seine-Ufer in Paris ist heute eine Fußgängerzone. Im Jahr 2016 sperrte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo den Abschnitt zwischen Louvre und Bastille dauerhaft für Autos.
Wo früher täglich 43.000 Fahrzeuge rollten, flanieren nun Menschen – zwischen Cafés, Bars, Spielplätzen – und mit direktem Zugang zum Wasser. Den Grundstein für den Umbau legte zuvor schon Hidalgos Vorgänger Bertrand Delanoë, der die Straße im Sommer zeitweise sperrte und einen Sandstrand mit Liegestühlen anlegen ließ.
Die autofreie Uferzone sorgte für heftige Debatten. Dies ist wenig überraschend, denn auch Frankreich hat eine starke und mächtige Autolobby. Bürgermeisterin Hidalgo ließ sich allerdings von deren Bemühungen für eine Umkehr nicht beirren und setzte die Umgestaltung der Stadt unbeirrt fort.
So halbierte sie die acht Autospuren der Champs-Élysées und verwandelte den gewonnenen Raum in begrünte Fußgängerzonen. Auf der Ringautobahn senkte sie das Tempolimit von 70 auf 50 Kilometer pro Stunde. Seit März dieses Jahres ist zudem eine Fahrspur der Stadtautobahn im Berufsverkehr für Fahrgemeinschaften, Taxis und Busse reserviert.
Das Ergebnis kann nicht überraschen. Paris hat weniger Lärm, Staus und Unfälle. Ganze Stadtviertel sind heute verkehrsberuhigt. Der motorisierte Durchgangsverkehr ist dort verboten.
Beispiel 5: Oslo
In Oslo hat man früh damit begonnen, den Autofahrern das Leben schwer zu machen. Lange Zeit prägte die vierspurige Schnellstraße E18 das Stadtbild direkt am Fjord der Hauptstadt.
Heute spazieren hier die Menschen an der Hafenpromenade und können an einigen Stellen sogar bis direkt ans Wasser gehen.
Der Autoverkehr wurde unter das Meer verlegt. Im Jahr 2010 wurde nach fünf Jahren Bauzeit der Bjørvika-Tunnel eröffnet. Seither werden etwa 80 Prozent des Verkehrs unterirdisch geführt. An der frei gewordenen Uferzone erstreckt sich heute ein attraktives Stadtviertel mit Museen, Wohnungen und Restaurants.
Der Tunnel war der Startschuss für ein groß angelegtes städtebauliches Konzept, das auch ein neues Opernhaus und das Munch-Museum beinhaltete.
Gleichzeitig wurde der innerstädtische Autoverkehr stark reduziert. Die Parkplätze wurden weniger, dafür entstanden mehr Fußgängerzonen und neue Radwege. Bis 2030 will die norwegische Hauptstadt im Zentrum sogar weitgehend komplett autofrei werden.