Wolkenimpfen: Der Kristall, der Regen macht – wie Silberiodid Wolken niederregnen lässt

Silberiodid wird regelmäßig beim Wolkenimpfen eingesetzt. Forscher können nun erstmals auf atomarer Ebene erklären, warum die chemische Verbindung so erfolgreich Eiskristalle bildet. Offenbar ist es die Silberoberfläche, die ideale Bedingungen für die Eisbildung schafft.

Forscher haben herausgefunden, wie Silberiodid auf atomarer Ebene funktioniert – und Wolken zum Abregnen bringt.
Forscher haben herausgefunden, wie Silberiodid auf atomarer Ebene funktioniert – und Wolken zum Abregnen bringt. Bild: FreePhotosART/Pixabay

Schon seit Jahrzehnten nutzen Meteorologen das Wolkenimpfen, um örtlich Regen oder Schnee auszulösen. Dabei werden feine Partikel aus Silberiodid in die Atmosphäre gesprüht. Sie dienen als winzige Keime, an denen sich Wassertröpfchen anlagern und gefrieren können.

Silberiodid (AgI) ist eine chemische Verbindung aus Silber und Iod, die als festes Pulver mit gelber oder gelbgrüner Färbung vorkommt und nahezu wasserunlöslich ist. Neben der künstlichen Wolkenbildung kommt es auch in der Fotografie zum Einsatz.

Nun konnten Forschende der Technischen Universität Wien erstmals auf atomarer Ebene erklären, warum gerade Silberiodid diese bemerkenswerte Fähigkeit besitzt. Mit moderner Mikroskopie und Computersimulationen konnten sie zeigen, dass der Vorgang weit komplexer ist als bisher angenommen. Zwar war bekannt, dass Silberiodid eine ähnliche Kristallstruktur wie Eis aufweist, doch erst die Untersuchungsergebnisse offenbarten, welche Oberfläche tatsächlich die Eisbildung auslöst.

Blick in den atomaren Aufbau

„Silberiodid bildet hexagonale Strukturen mit derselben sechskantigen Symmetrie, die man auch von Schneeflocken kennt“, erklärt Jan Balajka vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien. „Auch die Abstände zwischen den Atomen ähneln jenen in Eiskristallen.

Lange Zeit nahm man an, dass diese Ähnlichkeit der Struktur erklärt, warum Silberiodid ein so effizienter Kristallisationskeim für Eis ist. Eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, dass der Mechanismus weitaus komplexer ist.

Denn entscheidend ist nicht der Kristall selbst, sondern seine Oberfläche. Wenn ein Silberiodid-Kristall bricht, entstehen zwei unterschiedliche Flächen, eine mit Silberatomen (silberterminierte Seite), die andere mit Jodatomen (jodterminierte Seite). „Wir haben herausgefunden, dass sich beide Oberflächen umordnen, allerdings auf völlig unterschiedliche Weise“, erläutert Johanna Hütner, Leiterin der Experimente. Die Silberseite bleibt hexagonal geordnet, ideal für den Aufbau einer Eisschicht. Die Jodseite dagegen formt eine rechteckige Struktur, die nicht mehr zu den sechseckigen Mustern des Eises passt.

Die Experimente müssen in dunklen Räumen durchgeführt werden.
Die Experimente müssen in dunklen Räumen durchgeführt werden. Bild: TU Wien

„Nur die silberterminierte Oberfläche trägt zur Keimbildung bei“, erklärt Balajka. „Die Fähigkeit von Silberiodid, in Wolken Eisbildung auszulösen, lässt sich also nicht allein durch die Struktur im Inneren des Kristalls erklären.“ Entscheidend sei die atomare Anordnung an der Oberfläche – der Mechanismus wurde bisher völlig übersehen.

Forschung im Dunkeln

Um die winzigen Vorgänge sichtbar zu machen, arbeiteten die Forschenden unter extremen Bedingungen. Die Experimente fanden bei ultratiefen Temperaturen und im Ultrahochvakuum statt. Wasser wurde auf winzige Silberiodid-Kristalle aufgedampft und anschließend mit Rasterkraftmikroskopie analysiert. „Eine der größten Herausforderungen war, dass alle Experimente in völliger Dunkelheit stattfinden mussten“, berichtet Hütner.

„Silberiodid ist extrem lichtempfindlich, weshalb es früher in Fotoplatten und -filmen eingesetzt wurde. Wir haben nur gelegentlich rotes Licht verwendet, wenn es für die Handhabung der Proben in der Vakuumkammer notwendig war.“

– Johanna Hütner, Leiterin Experimente, TU Wien

Parallel dazu führte das Team quantenmechanische Berechnungen mithilfe der sogenannten Dichtefunktionaltheorie durch. „Mit diesen Simulationen konnten wir berechnen, welche Anordnungen von Atomen energetisch am günstigsten sind“, erklärt Andrea Conti, der für die theoretischen Modelle verantwortlich war. So ließ sich nachvollziehen, wie die ersten Wassermoleküle auf der Silberoberfläche zusammentreffen und eine Eisschicht bilden.

Neue Sicht auf die Physik der Wolken

Die Ergebnisse lassen sich zur Verbesserung bestehender Anwendungen nutzen. Denn wenn bekannt ist, welche Oberflächenstrukturen Eisbildung begünstigen, lassen sich möglicherweise bessere Materialien entwickeln, um Niederschläge auszulösen oder Hagel zu verhindern.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass man sich so lange mit einer eher vagen, phänomenologischen Erklärung für die Nukleationseffekte von Silberiodid zufriedengegeben hat.

Ulrike Diebold, Leiterin der Forschungsgruppe für Oberflächenphysik an der TU Wien, führt das näher aus: „Eiskeimbildung ist ein Phänomen von zentraler Bedeutung für die Atmosphärenphysik, und ein Verständnis auf atomarer Ebene ist essentiell, um herauszufinden, ob andere Materialien als effektive Keimbildner geeignet sein könnten.“

Mit der aktuellen Studie haben die Wiener Forschenden ein jahrzehntealtes Rätsel gelöst – und gezeigt, dass hinter jedem Regentropfen ein atomarer Zusammenhang steckt.

Quellenhinweis:

Hütner, J., et al. (2025): Surface reconstructions govern ice nucleation on silver Iodide. Science Advances.