Wenn der Fels unter dem Eis bröckelt: Der Perito-Moreno-Gletscher verliert seinen Ankerpunkt

Der argentinische Gletscher Perito Moreno galt lange Zeit als resistent, was den Klimawandel anbelangt. Doch seit wenigen Jahren schmilzt auch hier das Eis dramatisch. Forschende haben nun herausgefunden, dass das an seinem besonderen Untergrund liegt.

Frontseite des Perito Moreno-Gletschers mit beeindruckender Eiswand.
Frontseite des Perito Moreno-Gletschers mit beeindruckender Eiswand. Bild: Moritz Koch

Der Perito-Moreno-Gletscher in Südpatagonien galt lange als Ausnahmeerscheinung. Derweilen andere Gletscher der Region seit Jahrzehnten dramatisch abschmolzen, hielt er stand – und inszenierte regelmäßig eines der spektakulärsten Naturschauspiele der Welt: Seine Eismauer staut den Lago Argentino so lange auf, bis das Wasser mit gewaltiger Kraft durchbricht. Touristenmagnet ist auch die imposante Gletscherkulisse, von der immer wieder Eismassen abbrechen und in den See stürzen.

Der Gletscher Perito Moreno (auch Bismarck- oder Francisco-Gormáz-Gletscher) befindet sich in Südargentinien am südlichen Patagonischen Eisfeld. Er ist berühmt dafür, dass die Gletscherzunge den südlichen Seearm des Lago Argentino aufstaut und dieser sich regelmäßig entlädt.

Doch damit ist es wohl für lange Zeit vorbei. Eine Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), veröffentlicht in Nature Communications Earth and Environment, zeigt, dass der vermeintlich stabile Gletscher rasant an Masse verliert.

Um die Ursachen zu verstehen, kombinierten die Forschenden modernste Messmethoden miteinander: Gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und argentinischen Partnern setzten sie ein helikopterbasiertes Georadar ein, das selbst durch meterdickes Eis den Felsboden darunter erfassen kann.

„Das ist bei den in Patagonien häufigen großen Wassermengen im Eis enorm herausfordernd.“

– Moritz Koch, FAU-Forscher

Mit einer Fläche von etwa 250 Quadratkilometern machte beim Perito Moreno eine vollständige Kartierung aus der Luft am ehesten Sinn. Zusätzlich wertete das Team Satellitendaten der deutschen TanDEM-X-Mission aus, die überaus genaue Höhenmessungen aus dem All liefert.

Seit 2019 akute Eisschmelze

Die Ergebnisse sind alarmierend. Zwischen 2000 und 2019 verlor der Gletscher pro Jahr rund 34 Zentimeter an Dicke, was ein vergleichsweise moderater Wert ist. Seit 2019 jedoch beschleunigt sich der Eisverlust dramatisch. Jährlich schmilzt die Gletscherzunge nun um 5,5 bis 6,5 Meter.

Das südliche Patagonische Eisfeld und die Lage des Gletschers Perito Moreno, seine Grundgesteinstopografie und seine Frontveränderung.
Das südliche Patagonische Eisfeld und die Lage des Gletschers Perito Moreno, seine Grundgesteinstopografie und seine Frontveränderung. Bild: Koch et al., 2025

Auch in der Länge nimmt das Eis massiv ab, an manchen Stellen um mehr als 800 Meter. Der Perito Moreno schrumpft damit nicht nur in der Höhe, sondern verliert auch seine markante Position, an der er bisher regelmäßig den See teilte.

Besondere Topografie des Perito Moreno

Um das zu verstehen, untersuchten die Forscher den Untergrund. „Unter der Gletscherzunge gibt es einen Felsrücken, der wie ein Ankerpunkt wirkt“, so FAU-Forscher Moritz Koch. Der Fels hatte den Gletscher selbst bei schwankenden Schneefällen oder leicht steigenden Temperaturen jahrzehntelang stabil gehalten. Doch allmählich verliert das Eis seinen Halt.

Unsere Daten zeigen, dass sich der Gletscher aktuell von seinem Ankerpunkt löst.

Einmal losgelöst, setzt eine selbstverstärkende Eisschmelze ein: Dünneres Eis wird leichter, der Auftrieb durch den Lago Argentino nimmt zu, und immer größere Eisblöcke brechen ab.

Wirtschaftliche Zäsur absehbar

Modellrechnungen prognostizieren den Verlust weiterer 15 Quadratkilometer Eisfläche, was über 2000 Fußballfeldern entspricht. Für die Region ist das nicht nur ein ökologischer, sondern auch ein wirtschaftlicher Einschnitt.

Auch wenn das Eis dann an einer anderen Stelle weiter talaufwärts ein neues Gleichgewicht findet, hat der Klimawandel schon jetzt eines der eindrucksvollsten Naturschauspiele der Erde zerstört.

Fast 90 Prozent aller Besucher des Nationalparks Los Glaciares kommen wegen des Perito Moreno. Allein 2023 wurden fast 800.000 Eintrittskarten verkauft. Fällt das Schauspiel der Eisabbrüche und Seesperren weg, verliert die abgelegene Gegend bei El Calafate ihren größten Touristenmagneten.

Radarmessung per Helikopter am Perito Moreno.
Radarmessung per Helikopter am Perito Moreno. Bild: Ever Bueti

Das Beispiel des Perito Moreno verdeutlicht, wie wichtig topografische Ankerpunkte für die Stabilität von Gletschern sind. Solche geologischen Schwellen können den Rückzug jahrelang verzögern – lösen sich Gletscher jedoch von ihnen, verläuft der Abschmelzprozess oft explosionsartig.

Bis vor wenigen Jahren schien der Perito Moreno gegen den allgemeinen Trend der patagonischen Eismassen immun zu sein. Nun reiht er sich ein in die Liste der Gletscher, die binnen weniger Jahre von stabil zu akut gefährdet wechseln.

Für Wissenschaftler ist der Fall ein Lehrstück in Sachen Gletscherdynamik – für die Menschen vor Ort bedeutet er, dass sie wohl auf absehbare Zeit nicht mehr Zeugen des berühmten Eisdamm-Durchbruchs werden, der einst regelmäßig Schlagzeilen machte.

Und für den Planeten ist er ein weiteres Warnsignal. Denn selbst scheinbar unerschütterliche Eismassen geraten ins Wanken, wenn sich die Klimabedingungen nur lange genug verändern.

Quellenhinweis:

Koch, M., Sommer, C., Blindow, N., et al. (2025): The state and fate of Glaciar Perito Moreno Patagonia. Communications Earth & Environment, 6, 572.