Welche juristischen Rechte hat die Natur – und kann sie wirklich vor Gericht klagen?

Die Lagune Mar Menor ist das einzige Ökosystem in Europa mit eigener Rechtspersönlichkeit. Forschende untersuchen die Wirksamkeit und Ausgestaltung dieses innovativen Rechtsinstruments.

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Naturschutz ist eine sehr wichtige Sache beim Umweltschutz.

Das Jahr 2022 könnte als Wendepunkt in die Geschichte des Umweltschutzes in Europa eingehen. Die salzige Küstenlagune Mar Menor nahe der Stadt Murcia in Spanien war in den Jahren zuvor aufgrund hoher Nitrateinträge und Überdüngung wiederholt vom Massensterben von Tieren und Pflanzen betroffen.

Die größte Salzwasserlagune des Mittelmeerraums, vom Meer durch einen 22 Kilometer langen Sandstreifen getrennt, veränderte ihren Charakter von Grund auf. Für die Bewohner der Region, deren Identität stark mit der landwirtschaftlich und touristisch genutzten Lagune verbunden ist, war das ein Schock.

Bürgerinitiativen als Motor für Veränderungen

Bürgerinitiativen führten zu einem Naturschutz-Volksbegehren mit dem Ziel, das Mar Menor als Rechtspersönlichkeit anzuerkennen – was 2022 in einem europaweit bisher einzigartigen Schritt auch gelang. Ähnlich natürlichen und juristischen Personen kommen dem Naturjuwel dadurch besondere Rechte zu, die von jedem Bürger sowie eigens geschaffenen Gremien wahrgenommen werden können.

Wird das Modell in weiteren Staaten aufgegriffen, könnte das den Umweltschutz in Europa auf ein neues Niveau heben.

Hang zur Anthropomorphisierung

Der Anthropomorphismus bezeichnet allgemein das Zusprechen (Attribution) menschlicher Eigenschaften auf Tiere, … Naturgewalten und Ähnliches, d. h., es handelt sich um eine Form der Vermenschlichung. Diese menschlichen Eigenschaften können sich bei den beschriebenen Objekten dabei sowohl in der Gestalt als auch im Verhalten zeigen.

Literaturverweis : Stangl, W. (2025, 8. September). Anthropomorphismus. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.

Das Mar Menor reiht sich in die wenigen Beispiele weltweit ein, die dieses Rechtsinstrument in verschiedener Ausgestaltung anwenden. Noch ist nicht klar, wie zielführend die Idee in der Praxis langfristig sein kann und welche konkreten rechtlichen Rahmenbedingungen sinnvoll sind.

Die Professorin für Völker- und Europarecht an der Universität Salzburg, Kirsten Schmalenbach, hat im Rahmen eines interdisziplinären Fellowships am Wissenschaftskolleg Hamburg Institute for Advanced Study diese Fragen untersucht. In einem sagte sie dazu:

Mein Forschungsinteresse ist, ob die Rechtspersönlichkeit von natürlichen Entitäten – und die damit verbundene Vorstellung von eigenen, durchsetzbaren Rechten – tatsächlich zu einer gesellschaftlichen Veränderung und mehr Umweltschutz führt

Ihr Beispiel dazu: Hätten die Menschen ein größeres Problem, eine leere Cola-Dose in die Donau zu werfen, wenn der Fluss rechtlich als eigene Person betrachtet wird – und sogar sein Recht, nicht verschmutzt zu werden, vor Gericht durchsetzen könne.

Durch die Existenz juristischer Personen wie Unternehmen ist man bereits gewohnt, nichtmenschlichen Entitäten Rechtspersönlichkeit zuzugestehen. Eine grundlegende kulturelle und juristische Anschlussfähigkeit sei also vorhanden. Allerdings: Mit dem Abrücken vom Menschen als alleinigem Mittelpunkt der Welt, was mit Natur-Rechtspersonen einherginge, wird auch ein grundlegendes ethisches Selbstverständnis infrage gestellt.

„Westliche“ Rechtsinstrumente

Internationale Beispiele zeigen oft indigene Gruppen, die das „westliche“ Rechtsinstrument nutzen, um für sie relevante Naturdenkmäler zu schützen. In Neuseeland wurde zum Beispiel der Whanganui-Fluss 2017 zu einer Rechtsperson erklärt. Die dabei gewählte rechtliche Konstruktion ist sehr auf die Bedürfnisse der Maori zugeschnitten, die traditionell keine individuellen Eigentumsrechte kennen würden.

Schmalenbach dazu:

Die Idee kommt also aus indigenen Kulturen, die sich selbst nicht als Gegensatz zur Natur sehen.

Kommunikation von Umweltschutz

Schmalenbach ist überzeugt, dass sich ein territorial klar abgrenzbares Ökosystem am besten für eine Anerkennung als Rechtsperson eignet. Die Wirkung wäre besser nachvollziehbar als bei einer Rechtsperson "Bachforelle" oder "Wolf". Wichtig sei aber zu betonen, dass damit keine absoluten Rechte verbunden wären. Würde der Alpenraum zur Rechtsperson, gäbe es weiterhin Bewohner, Wirtschaftsbetriebe und Touristen, die ein legitimes Interesse an der Nutzung haben. Bei jedem Konflikt entsteht also eine Abwägungsnotwendigkeit, die Gerichte zu klären hätten.

Der große Vorteil des Instruments läge in der Kommunikation des Umweltschutzes. So mache sich beim Klimaschutz eine wachsende Müdigkeit breit. Das läge auch an einem Umweltrecht, das mehrheitlich mit Verboten agiere, so Schmalenbach.

In der neuen Betrachtungsweise geht es hingegen um Rechte der Natur, die mit jenen der Menschen abzuwägen sind – was für viele Bürger nachvollziehbarer ist.“

Trend zur Natur-Rechtsperson?

Die große Frage wird also sein, ob ein Gesetz, das Natur-Rechtspersonen möglich macht, tatsächlich ein gesellschaftliches Umdenken bewirken könne. Kann also ein Trend zu Natur-Rechtspersonen entstehen, der auch Deutschland erreicht?

Beim Fall Mar Menor wurden gesetzlich drei Gremien installiert, die eine Beteiligung von Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft vorsehen. Grundsätzlich kann aber jede Person die Interessen des Mar Menor vor Behörden und Gerichten geltend machen.

Rechtstechnisch wäre eine dem Mar Menor ähnliche Konstruktion – zumindest abseits des allgemeinen Klagerechts durchaus auch bei uns möglich. Dafür bräuchte es wohl nicht einmal ein Gesetz im Verfassungsrang. Eine Schwierigkeit besteht allerdings darin, die neue Rechtskonstruktion von klassischem Umweltrecht abzugrenzen, so die Meinung von Rechtsexperten dazu.

Umdenken notwendig

Der Weg zu Natur-Rechtspersonen könnte – ebenfalls wie in Spanien – über eine Bürgerinitiative führen. Ein Schritt dieser Art würde auch viel Gegenwind erfahren. Nicht die rechtliche, sondern eine tiefverwurzelte Weltsicht ist die Hürde.