Was passiert, wenn der Wind ausbleibt? Wissenschaftler entschlüsseln Rekordhitze im Nordatlantik 2023

Im Jahr 2023 wurde im Nordatlantik ein neuer globaler Temperaturrekord verzeichnet. Bei der Auswertung der Windgeschwindigkeiten kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass die schwachen Winde die oberen Wassermassen nicht ausreichend vermischen konnten, was weitreichende Folgen hatte.

In den letzten Jahren ist die obere Schicht des Meeres immer dünner geworden – und damit anfälliger für Erwärmung.
In den letzten Jahren ist die obere Schicht des Meeres immer dünner geworden – und damit anfälliger für Erwärmung. Bild: Harli Marten/Unsplash

Im Sommer 2023 erreichte der Nordatlantik Meerestemperaturen, die in dieser Größenordnung bisher beispiellos waren. In einigen Regionen lagen die Temperaturen an der Meeresoberfläche um mehr als zwei Grad Celsius über den bisherigen Höchstwerten. Gleichzeitig traten in Europa Hitzewellen und Überschwemmungen auf, die mit den außergewöhnlich hohen Temperaturen des Nordatlantiks in Zusammenhang gebracht wurden.

Die Mixed Layer Temperature (MLT) ist die durchschnittliche Temperatur der obersten Wasserschicht im Meer oder See. Diese Schicht wird durch Wind und Wellen ständig durchmischt.

Eine in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie legt nun die Ursachen dieses marinen Extremereignisses offen. Forscherinnen und Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der University of New South Wales, der Australian National University sowie vom australischen Wetterdienst analysierten Beobachtungsdaten, Atmosphärenrekonstruktionen und moderne Ozeanmodelle.

Ihr zentrales Ergebnis: Schwache Winde führten dazu, dass sich nur eine ungewöhnlich dünne oberste Wasserschicht bildete, die sich dadurch besonders schnell erwärmte.

Ohne Wind keine Durchmischung

Im Sommer sorgt normalerweise der Wind dafür, dass sich die obere Meeresschicht durchmischt. Bleiben die Winde jedoch aus, entsteht eine stabile Schichtung: Das warme, leichtere Oberflächenwasser bleibt oben, und das kühlere, dichtere Wasser darunter. Eine Durchmischung findet kaum noch statt. Im Jahr 2023 war genau das der Fall.

„Da die globale Erwärmung die Durchmischung der Ozeane verringert, wird die obere Meeresschicht dünner und anfälliger für schnelle Erwärmung. Dadurch werden häufigere und intensivere marine Hitzewellen immer wahrscheinlicher.“

– Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK, Co-Autor

Die Studie belegt, dass es sich um einen klaren Trend handelt. Denn in den letzten vier Jahrzehnten ist die obere Schicht des Nordatlantiks kontinuierlich dünner geworden – als direkte Folge der Erwärmung der Ozeanoberfläche.

Monatliche durchschnittliche Oberflächenwindgeschwindigkeit und Windvektorabweichungen im Mai, Juni, Juli und August 2023.
Monatliche durchschnittliche Oberflächenwindgeschwindigkeit und Windvektorabweichungen im Mai, Juni, Juli und August 2023. Bild: England et al., 2025

Diese strukturelle Veränderung des Meeres hat globale Auswirkungen. Der Nordatlantik ist eine zentrale Komponente des weltweiten Klimasystems, vor allem wegen der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC), die entscheidend für das Klima auf der Nordhalbkugel ist. Eine dauerhaft warme und dünne Oberflächenschicht könnte das Gleichgewicht dieser Strömung gefährden.

Die Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) ist ein großes System von Meeresströmungen im Atlantik, das warmes Wasser nach Norden und kaltes, tiefes Wasser nach Süden transportiert.

Die Forscher warnen vor langfristigen Rückkopplungseffekten: So könne beispielsweise das Schmelzen des grönländischen Eises verstärkt werden. Auch die großräumige ozeanische Zirkulation könne sich nachhaltig verändern, mit tiefgreifenden Konsequenzen für Wetter und Klima weltweit.

Beobachtete Anomalien der Mixed Layer Temperature (MLT) und Verlauf der Erwärmung der Nordatlantikoberfläche im Mai, Juni, Juli und August 2023.
Beobachtete Anomalien der Mixed Layer Temperature (MLT) und Verlauf der Erwärmung der Nordatlantikoberfläche im Mai, Juni, Juli und August 2023. Bild: England et al., 2025

Neben den schwachen Winden identifizieren die Wissenschaftler auch andere mögliche Einflussfaktoren. In bestimmten Regionen, etwa entlang großer Schifffahrtsrouten, könnten reduzierte Schwefelemissionen aus der Schifffahrt durch veränderte Strahlungseffekte zur Erwärmung beigetragen haben.

Langfristige Klimaveränderungen

Die marine Hitzewelle im Jahr 2023 ist auch Ausdruck eines sich wandelnden Systems. Die Studie zeigt nämlich, wie eng kurzfristige atmosphärische Phänomene mit langfristigen klimatischen Entwicklungen verknüpft sind. Die Kenntnis von den Ursachen solcher Extremereignisse ist entscheidend, um künftig Risiken besser abschätzen und gegebenenfalls abmildern zu können.

Denn marine Hitzewellen betreffen nicht nur das Ökosystem Meer mit seinen sensiblen Lebensräumen und wirtschaftlich bedeutenden Fischereien. Sie wirken sich auch auf das Wettergeschehen an Land aus. Die Hitzewelle im Nordatlantik 2023 war mit extremen Sommertemperaturen und schweren Niederschlägen in weiten Teilen Europas verbunden. Die höheren Meerestemperaturen führten zu verstärkter Verdunstung, was in Kombination mit feuchterer Luftströmung zu heftigen Unwettern führte.

Ein Blick in die Zukunft zeigt wenig Entspannung. Da die Trends zur weiteren Erwärmung und Ausdünnung der oberen Ozeanschicht anhalten, dürften Extremereignisse wie der Sommer 2023 zur Regel werden.

Quellenhinweis:

England, M. H., Li, Z., Huguenin, M. F., Kiss, A. E., Sen Gupta, A., Holmes, R. M., Rahmstorf, S. (2025): Drivers of the extreme North Atlantic marine heatwave during 2023. Nature.