Tiefsee: Nur 0,001 Prozent bisher erforscht – so wenig wissen wir über das Leben am Meeresboden
Unser Wissen über die Welt unterhalb von 200 Metern Meerestiefe ist äußerst begrenzt, trotz aller technischen Fortschritte. Forscher haben nun ermittelt, wie wenig uns eigentlich bekannt ist – und wie lange es dauern würde, die gesamte Tiefsee zu erkunden.

Die Tiefsee bleibt eine der am wenigsten erforschten Regionen unseres Planeten. Eine neue Studie zeigt, dass bislang gerade einmal 0,001 Prozent des tiefen Meeresbodens dokumentiert wurden. Die Forscher sprechen von einer Fläche zwischen 2130 und 3823 Quadratkilometern, kaum mehr als ein Zehntel der Fläche Belgiens.
Schon die bisherigen Erkundungsmethoden legen nahe, wie begrenzt die Erkenntnisse eigentlich sind: So basieren viele topografische Karten der Tiefsee lediglich auf Satelliten- oder Sonardaten, die zwar grobe Informationen über die Formationen am Meeresgrund liefern – wie Gräben, Rücken oder Vulkane –, aber keinerlei Aussagen über die dortige Lebenswelt erlauben.
Gleichzeitig drängen Staaten und Konzerne darauf, die Rohstoffe der Tiefsee zu fördern. Doch selbst für die geplanten Abbaugebiete mangelt es an grundlegenden ökologischen Informationen. Der Druck auf die bisher unerforschten Regionen steigt also, auch wenn bisher nicht bekannt ist, welche Folgen solche Eingriffe nach sich ziehen.
Nur ein Fünftel der Beobachtungen auf hoher See
Die neue Analyse der Ocean Discovery League unter der Leitung von Katherine Bell basiert auf 43.681 dokumentierten Tauchgängen aus 14 Ländern seit 1958. Sie umfasst Einsätze in 120 Wirtschaftszonen und auf hoher See. Dennoch ergibt sich ein deutlich verzerrtes Bild: „Unsere Daten zeigen, dass wir weniger als 0,001 Prozent des tiefen Meeresgrunds visuell erkundet haben“, erklärt das Team.
Hinzu kommt, dass nur 19,1 Prozent aller Tauchgänge auf hoher See durchgeführt wurden, und das, obwohl diese mehr als die Hälfte des globalen Tiefseeraums ausmacht.
Dieser Trend hat sich im Laufe der Zeit noch verschärft. Während in den 1960er Jahren noch über die Hälfte der Tauchgänge auf hoher See durchgeführt wurden, sank der Anteil bis in die 2010er Jahre auf nur noch 14,9 Prozent. Zugleich konzentrieren sich 97,2 Prozent aller Tiefsee-Erkundungen auf nur fünf Länder: USA, Japan, Neuseeland, Deutschland und Frankreich.

„Die Daten, die bei den gut 44.000 Tiefsee-Tauchgängen gesammelt wurden, stellen eine unglaublich einseitige Probe dar“, erklären Bell und ihre Kollegen. Vor allem bekannte geologische Formationen wie hydrothermale Felder oder Tiefsee-Canyons wurden untersucht. Weite Ebenen oder weniger auffällige Strukturen blieben dagegen nahezu unbeachtet.
„Diese kleine und verzerrte Stichprobe ist problematisch, wenn man versucht, einen globalen Ozean zu charakterisieren, zu verstehen und zu verwalten“, so die Einschätzung der Forschenden. Die Folge sei ein verengtes Bild der Tiefsee-Ökosysteme, das wissenschaftliche und politische Entscheidungen auf unsicherer Grundlage stütze.
Komplettes Erforschen würde 100.000 Jahre dauern
Darum kritisieren Bell und ihr Team, dass die gegenwärtige Herangehensweise nicht ausreiche, um den Ozean verantwortungsvoll zu nutzen und zu schützen. Statt isolierter Einzelmissionen brauche es strategische Expeditionen, die gezielt repräsentative Standorte erforschen und Daten liefern, die global übertragbar sind.
Doch der Aufwand ist immens: Selbst bei 1000 Expeditionsteams pro Jahr, die jeweils drei Quadratkilometer untersuchen, würde es über 100.000 Jahre dauern, die gesamte Tiefsee vollständig zu erkunden.

Eine vollständige Kartierung muss jedoch nicht sein: „Diese Schätzungen zeigen, dass wir die Art und Weise, wie wir die globale Tiefsee erforschen und untersuchen, grundlegend ändern müssen“, sagt Bell. Mit klug gewählten Standorten und moderner Technik könnten Wissenschaftler ein belastbares Gesamtbild der Tiefsee gewinnen, und das, ohne jede Region einzeln bereisen zu müssen.
Dabei geht es um weit mehr als um reine Wissenschaft: Die Tiefsee beeinflusst das globale Klima und bestimmt die Zusammensetzung der Atmosphäre. Möglicherweise könnten neue Organismen neue medizinische Wirkstoffe liefern. Zudem können wir durch das Verstehen der Tiefe auch die globalen Umweltprozesse besser begreifen.
„Es gibt so viele Geheimnisse in unseren Ozeanen“, sagt Ian Miller von der National Geographic Society. „Wenn wir unsere Ozeane besser verstehen, können wir sie besser erhalten und schützen.“
Quellenhinweis:
Bell, K. L. C., et al. (2025): How little we’ve seen: A visual coverage estimate of the deep seafloor. Science Advances 11, eadp8602.