Ostseealgen verändern sich genetisch: Jahrtausende waren sie stabil – bis der Mensch kam
Seit der Nutzung der Ostsee durch den Menschen verändern sich die Gene der heimischen Algenarten – und das schneller als je zuvor. Ob die Populationen noch einmal in ihren ursprünglichen Zustand finden, bleibt vorerst abzuwarten.

Die Ostsee beherbergt seit Jahrtausenden winzige Kieselalgen, die das Rückgrat des marinen Ökosystems bilden. Als Nahrungsgrundlage sichern sie einerseits das Überleben zahlreicher Meerestiere. Andererseits produzieren sie Sauerstoff, binden Kohlenstoff und beeinflussen dadurch auch das Weltklima. Doch seit der Mensch die Ostsee intensiv nutzt, verändert sich das genetische Erbgut der Organismen schneller als jemals zuvor, das zeigt eine neue Studie.
– Alexandra Schmidt, Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe Umweltgenomik an der Universität Konstanz, Erstautorin der Studie
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Konstanz hat die genetische Zusammensetzung der Kieselalgenart Skeletonema marinoi über einen Zeitraum von 8000 Jahren untersucht. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Global Change Biology veröffentlicht – und sie zeichnen ein klares Bild.
Zeitkapseln aus dem Meeresboden
Zuerst bohrten die Forschenden am Meeresgrund des östlichen Gotlandbeckens und im Finnischen Meerbusen, um Sedimentkerne zu gewinnen. Die Ablagerungen enthalten genetisches Material, das wie eine Zeitkapsel wirkt.
– Laura Epp, Projektleiterin, Fachbereich Biologie der Universität Konstanz
Durch die Analyse verschiedener Sedimentschichten lässt sich nachvollziehen, wie sich die genetische Zusammensetzung der Kieselalgen im Laufe der Zeit verändert hat. Je tiefer die Schicht, desto älter das Material.

Das Team konnte DNA-Überreste von bis zu 8000 Jahren sichern. Um möglichst genaue Daten zu gewinnen, konzentrierten sich die Forschenden auf das Erbgut in Chloroplasten und Mitochondrien, den beiden Energiezentren der Zellen. Das genetische Material darin eignet sich besonders gut für Langzeitvergleiche.
Stabil durch Eiszeiten und Warmphasen
Die Analyse ergab, dass die Zusammensetzung der Populationen über weite Zeiträume konstant blieb. Selbst ausgeprägte Klimaschwankungen wie das holozäne Wärmemaximum oder die spätantike Kleine Eiszeit führten zwar zu kurzzeitigen Verschiebungen, doch langfristig stellten sich die ursprünglichen Muster immer wieder ein.
Anders hingegen gestaltet sich das seit der menschlichen Nutzung der Ostsee: Ab der Wikingerzeit, verstärkt in der Hansezeit und nochmals in der Industrialisierung, änderten sich die genetischen Strukturen in deutlich schnellerem Tempo – und bisher irreversibel, also unumkehrbar.
„Diese Veränderungen fallen nicht direkt mit klimatischen Schwankungen zusammen, sondern mit Phasen erhöhter menschlicher Aktivität“, sagt Schmidt. Ob die Algenpopulationen jemals in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren, bleibt erst einmal offen.
Menschlicher Einfluss im Erbgut sichtbar
Die Forschenden vermuten, dass verschiedene Faktoren den Wandel vorantreiben. Dazu gehören Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, der Bau von Häfen und Küstenanlagen sowie die zunehmende Schifffahrt. Auch wenn die Kieselalgen nicht direkt vom Menschen genutzt werden, spiegelt ihr Erbgut die Spuren menschlichen Handelns wider.
„Wir können jetzt solche Effekte über Jahrtausende erforschen und die Informationen nutzen, um ökologische und evolutionäre Dynamiken besser zu verstehen“, erklärt Epp. Damit lassen sich auch Schutzmaßnahmen für marine Lebensräume anpassen.

Die Studie verdeutlicht, dass selbst widerstandsfähige Organismen sensibel auf anthropogene Veränderungen reagieren. Die genetische Stabilität, die über Jahrtausende trotz Klimawandel bestand, wurde erst durch menschliche Eingriffe nachhaltig gestört.
Alte DNA aus Sedimenten macht es möglich, langfristige Entwicklungen nachzuvollziehen und den menschlichen Einfluss von natürlichen Veränderungen zu unterscheiden. Für den Naturschutz bedeutet das: Nur wer die Vergangenheit versteht, kann die Zukunft der Meere sichern.
Quellenhinweis:
Schmidt, A., Bolius, S., Chagas, A., Romahn, J., Kaiser, J., Arz, H. W., Bálint, M., Kremp, A., & Epp, L. S. (2025): Multi‐Millennial Genetic Resilience of Baltic Diatom Populations Disturbed in the Past Centuries. Global Change Biology.