Ostseealgen verändern sich genetisch: Jahrtausende waren sie stabil – bis der Mensch kam

Seit der Nutzung der Ostsee durch den Menschen verändern sich die Gene der heimischen Algenarten – und das schneller als je zuvor. Ob die Populationen noch einmal in ihren ursprünglichen Zustand finden, bleibt vorerst abzuwarten.

Eingefärbte Kultur von der Kieselalge Skeletonema marinoi.
Eingefärbte Kultur von der Kieselalge Skeletonema marinoi. Bild: Sarah Bolius

Die Ostsee beherbergt seit Jahrtausenden winzige Kieselalgen, die das Rückgrat des marinen Ökosystems bilden. Als Nahrungsgrundlage sichern sie einerseits das Überleben zahlreicher Meerestiere. Andererseits produzieren sie Sauerstoff, binden Kohlenstoff und beeinflussen dadurch auch das Weltklima. Doch seit der Mensch die Ostsee intensiv nutzt, verändert sich das genetische Erbgut der Organismen schneller als jemals zuvor, das zeigt eine neue Studie.

„Über viele Jahrtausende blieben die Erbgut-Muster der untersuchten Kieselalgen-Populationen erstaunlich stabil. Erst mit zunehmender menschlicher Nutzung der Ostsee im vergangenen Jahrtausend sehen wir einen schnellen Wechsel in der genetischen Zusammensetzung.“

– Alexandra Schmidt, Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe Umweltgenomik an der Universität Konstanz, Erstautorin der Studie

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Konstanz hat die genetische Zusammensetzung der Kieselalgenart Skeletonema marinoi über einen Zeitraum von 8000 Jahren untersucht. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Global Change Biology veröffentlicht – und sie zeichnen ein klares Bild.

Zeitkapseln aus dem Meeresboden

Zuerst bohrten die Forschenden am Meeresgrund des östlichen Gotlandbeckens und im Finnischen Meerbusen, um Sedimentkerne zu gewinnen. Die Ablagerungen enthalten genetisches Material, das wie eine Zeitkapsel wirkt.

„In dem abgelagerten Schlamm und Sand am Meeresgrund befindet sich sogenannte ‚alte DNA‘, die nach dem Tod der Organismen über Jahrtausende im Sediment erhalten geblieben ist.“

– Laura Epp, Projektleiterin, Fachbereich Biologie der Universität Konstanz

Durch die Analyse verschiedener Sedimentschichten lässt sich nachvollziehen, wie sich die genetische Zusammensetzung der Kieselalgen im Laufe der Zeit verändert hat. Je tiefer die Schicht, desto älter das Material.

Einzelne Abschnitte eines langen Sedimentkerns vor der Beprobung.
Einzelne Abschnitte eines langen Sedimentkerns vor der Beprobung. Bild: Laura Epp

Das Team konnte DNA-Überreste von bis zu 8000 Jahren sichern. Um möglichst genaue Daten zu gewinnen, konzentrierten sich die Forschenden auf das Erbgut in Chloroplasten und Mitochondrien, den beiden Energiezentren der Zellen. Das genetische Material darin eignet sich besonders gut für Langzeitvergleiche.

Stabil durch Eiszeiten und Warmphasen

Die Analyse ergab, dass die Zusammensetzung der Populationen über weite Zeiträume konstant blieb. Selbst ausgeprägte Klimaschwankungen wie das holozäne Wärmemaximum oder die spätantike Kleine Eiszeit führten zwar zu kurzzeitigen Verschiebungen, doch langfristig stellten sich die ursprünglichen Muster immer wieder ein.

Anders hingegen gestaltet sich das seit der menschlichen Nutzung der Ostsee: Ab der Wikingerzeit, verstärkt in der Hansezeit und nochmals in der Industrialisierung, änderten sich die genetischen Strukturen in deutlich schnellerem Tempo – und bisher irreversibel, also unumkehrbar.

„Diese Veränderungen fallen nicht direkt mit klimatischen Schwankungen zusammen, sondern mit Phasen erhöhter menschlicher Aktivität“, sagt Schmidt. Ob die Algenpopulationen jemals in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren, bleibt erst einmal offen.

Menschlicher Einfluss im Erbgut sichtbar

Die Forschenden vermuten, dass verschiedene Faktoren den Wandel vorantreiben. Dazu gehören Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, der Bau von Häfen und Küstenanlagen sowie die zunehmende Schifffahrt. Auch wenn die Kieselalgen nicht direkt vom Menschen genutzt werden, spiegelt ihr Erbgut die Spuren menschlichen Handelns wider.

Selbst bei Organismen, die nicht direkt in irgendeiner Form von uns genutzt werden, kann das Erbgut also den Einflüssen menschlichen Handelns unterliegen.

„Wir können jetzt solche Effekte über Jahrtausende erforschen und die Informationen nutzen, um ökologische und evolutionäre Dynamiken besser zu verstehen“, erklärt Epp. Damit lassen sich auch Schutzmaßnahmen für marine Lebensräume anpassen.

Beprobung an Bord des Forschungsschiffs Elisabeth Mann Borgese, im Bild Dr. Anke Kremp, IOW Warnemünde.
Beprobung an Bord des Forschungsschiffs Elisabeth Mann Borgese, im Bild Dr. Anke Kremp, IOW Warnemünde. Bild: Laura Epp

Die Studie verdeutlicht, dass selbst widerstandsfähige Organismen sensibel auf anthropogene Veränderungen reagieren. Die genetische Stabilität, die über Jahrtausende trotz Klimawandel bestand, wurde erst durch menschliche Eingriffe nachhaltig gestört.

Alte DNA aus Sedimenten macht es möglich, langfristige Entwicklungen nachzuvollziehen und den menschlichen Einfluss von natürlichen Veränderungen zu unterscheiden. Für den Naturschutz bedeutet das: Nur wer die Vergangenheit versteht, kann die Zukunft der Meere sichern.

Quellenhinweis:

Schmidt, A., Bolius, S., Chagas, A., Romahn, J., Kaiser, J., Arz, H. W., Bálint, M., Kremp, A., & Epp, L. S. (2025): Multi‐Millennial Genetic Resilience of Baltic Diatom Populations Disturbed in the Past Centuries. Global Change Biology.