Murmeltiere ziehen in höhere Gefilde: So verändert der Klimawandel ihren Lebensraum

Ikonen alpiner Wildnis – in der öffentlichen Wahrnehmung gelten Murmeltiere oft als gemütlich, pfeifend und tiefschlafend im Winter. Doch wie reagieren die an extreme Bedingungen angepassten Tiere auf die rapide Erwärmung der Alpen? Eine neue Studie gibt Antworten darauf.

Die meisten Murmeltierfamilien leben heute im Vergleich zu den 1980er Jahren rund 90 Meter weiter oben am Berg. Die absolute Obergrenze von 2700 Höhenmetern hingegen hat sich nicht verändert.
Die meisten Murmeltierfamilien leben heute im Vergleich zu den 1980er Jahren rund 90 Meter weiter oben am Berg. Die absolute Obergrenze von 2700 Höhenmetern hingegen hat sich nicht verändert. Bild: Michael Zehnder/SLF

Murmeltiere leben im Dischmatal bei Davos heute im Schnitt 86 Meter höher als noch im Jahr 1982. Eine Verschiebung, die zunächst wie eine klassische Reaktion auf den Klimawandel wirkt. „Das stimmt so aber nur bedingt“, erklärt Anne Kempel, Biologin der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und Leiterin der neuen Studie.

Alpenmurmeltiere (Marmota marmota) sind große, soziale Nagetiere der Alpen und Karpaten. Sie leben in Gruppenverbänden, halten Winterschlaf, bauen weitläufige Baue und ernähren sich von Gräsern, Kräutern, Samen und Insekten.

Die Tiere leben zwar heute bevorzugt auf etwa 2500 Metern Höhe, doch die bekannte obere Verbreitungsgrenze bei 2700 Metern hat sich in den letzten vier Jahrzehnten nicht verändert. Für eine tatsächliche Flucht nach oben fehlt es offenbar an geeigneten Bedingungen.

Besonderer Lebensraum der Murmeltiere

Die Studie zeigt auch, dass nicht allein die steigenden Temperaturen die Höhenverlagerung hervorrufen. Entscheidend sind mehrere Umweltfaktoren wie etwa die Bodenbeschaffenheit: Oberhalb einer bestimmten Grenze ist der Boden zu flach oder zu instabil für die komplexen Bausysteme der Murmeltiere. Zusätzlich benötigen die Tiere für den Winterschlaf eine dicke Schneedecke, die sie auf natürliche Weise isoliert.

Beobachtungsgebiete und entsprechende Aussichtspunkte im Dischmatal, Kanton Graubünden, Schweiz. Die Größe der Polygone schwankte zwischen 27 ha (Nr. 23) und 280 ha (Nr. 9).
Beobachtungsgebiete und entsprechende Aussichtspunkte im Dischmatal, Kanton Graubünden, Schweiz. Die Größe der Polygone schwankte zwischen 27 ha (Nr. 23) und 280 ha (Nr. 9). Bild: Simma et al., 2025

„Das Maximum dieser Parameter haben wir genau dort, wo jetzt die meisten Gruppen leben“, sagt Kempel. In rund 2500 Metern Höhe finden die Murmeltiere offenbar optimale Bedingungen – warm genug für eine produktive Sommerzeit, aber mit ausreichend Schnee im Winter.

Auch die Ernährung spielt eine Rolle. Pflanzen mit einem hohen Gehalt an Linolsäure, einer essenziellen Fettsäure, sind wichtig für die Regulation der Körpertemperatur während der kalten Monate. Entsprechende Pflanzenarten könnten sich durch die Erwärmung ebenfalls leicht höher angesiedelt haben.

Von Vertreibung keine Spur

Für ihre Untersuchung griff das Forschungsteam auf ein besonderes Vergleichsdatenpaar zurück: Bereits 1982 hatten Wissenschaftler im gleichen Tal mit Fernglas und Fernrohr über 25 Flächen hinweg Murmeltiere gezählt. Nun wurde die Erhebung mit identischer Methodik wiederholt. Durch statistische Modelle wurde der wahrscheinliche Bestand ermittelt und mit den alten Daten verglichen.

Andere Faktoren spielen wohl eine wichtigere Rolle als die wärmeren Temperaturen.

Zwar hat sich das Höhenoptimum leicht verschoben, aber von einer umfassenden Vertreibung durch den Klimawandel kann nicht die Rede sein, so das Ergebnis der Studie.

Druck durch steigende Baumgrenzen

Trotzdem nimmt die Bedrohung zu. Das Dischmatal ist zwar mit derzeit nur sechs Tagen über 25 Grad Celsius im Jahr noch ein relativ kühler Rückzugsort, doch das wird sicherlich nicht so bleiben.

In niedrigeren Lagen könnte es für die Tiere eng werden.

Denn Murmeltiere sind extrem hitzeempfindlich, Temperaturen über 25 Grad bedeuten für sie Stress. Sie ziehen sich tagsüber in ihre Bauten zurück, was bedeutet, dass sie weniger Nahrung aufnehmen. Ohne ausreichende Fettreserven droht ihnen jedoch im Winterschlaf der Tod.

Hinzu kommt die langsam, aber stetig steigende Baumgrenze. Murmeltiere jedoch meiden bewaldete Flächen und sind auf offene Wiesen angewiesen. Da eine weitere Höhenwanderung kaum möglich ist, wird der Lebensraum immer kleiner.

Begrenzte Anpassungsfähigkeit

Dass das Murmeltier besonders verletzlich gegenüber klimatischen Veränderungen ist, hängt auch mit seiner genetischen Ausstattung zusammen. Es gehört zu den Tieren mit der geringsten genetischen Vielfalt überhaupt – ein Erbe der wiederholten Kaltzeiten im Pleistozän. Anpassungen an neue Umweltbedingungen sind daher schwierig.

Auch wenn sich aktuell keine Notlage bemerkbar macht, wird der Lebensraum von Murmeltieren kleiner werden.
Auch wenn sich aktuell keine Notlage bemerkbar macht, wird der Lebensraum von Murmeltieren kleiner werden. Bild: smoms_photography/Pixabay

Studien zeigen zudem, dass die Zahl der Tage mit schützender Schneedecke in den Alpen kontinuierlich abnimmt. Die Winter werden kürzer, die Sommer länger – und wärmer. Der Trend kann den Energiehaushalt der Tiere im Winterschlaf empfindlich stören.

Noch keine Krise – aber Anzeichen

Die Untersuchung aus dem Dischmatal liefert ein noch genaueres Bild. Demnach gibt es zwar eine leichte Höhenverschiebung, aber keine dramatische Fluchtbewegung. Der Lebensraum ist bislang stabil, doch er wird enger. Langfristig könnte sich die Lage zuspitzen, erklärt Anne Kempel.

Murmeltiere bevorzugen offene Lebensräume, im Wald kommen sie nicht zurecht, und da sie nicht weiter in die Höhe ausweichen, wird ihr Lebensraum kleiner.

Der Klimawandel lässt die Murmeltiere also noch kalt – aber wahrscheinlich nicht für immer.

Quellenhinweis:

Simma, M., Ozgul, A., Duchenne, F., Ackermann, G., Jenny, H., Müller, J. P., & Kempel, A. (2025): Shifting Heights? A 40-Year Resurvey of Alpine Marmot Distribution in Response to Climate Change. Ecology and Evolution, 15, 7.