Mit Quantentrick ins Herz der Materie: MIT-Forscher entschlüsseln erstmals die inneren Geheimnisse des Atomkerns
Forscher am MIT verwenden Moleküle aus Radium und Fluor, um genau zu messen, wie das Magnetfeld im Atomkern verteilt ist. Damit hoffen sie, grundlegende Symmetrieverletzungen im Universum zu entdecken – ein großer Fortschritt in der Molekülphysik.

Die Erforschung atomarer Kerne zählt zu den komplexesten Feldern der modernen Physik. Klassische Experimente, die Kernstruktur analysieren, benötigen kilometerlange Teilchenbeschleuniger, um Elektronen mit hinreichender Energie zur Kernregion zu lenken. Selbst mit dieser Infrastruktur bleiben zahlreiche fundamentale Eigenschaften, insbesondere die räumliche Verteilung von Magnetisierung in asymmetrischen Kernen, weitgehend unerforscht.
Physiker am Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben einen innovativen Ansatz entwickelt, der diese Limitationen umgeht: Durch die gezielte Einbettung von Radium-Atomen in Moleküle mit Fluor entstehen „natürliche Mini-Beschleuniger“, die es ermöglichen, Elektronen als präzise Boten für die Kernstruktur zu verwenden.
Radium-Monofluorid als mikroskopischer Verstärker
Das gewählte Molekül, Radium-Monofluorid (²²⁵Ra¹⁹F), kombiniert einen birnenförmigen, oktupol-deformierten Radiumkern mit einem Fluoratom. Innerhalb dieses Moleküls erfahren die Elektronen des Radiums extrem hohe interne elektrische Felder, die sie kurzzeitig in den Kern drängen. Diese „Penetration“ erzeugt eine minimal messbare Energieverschiebung der Elektronen, die präzise aufgezeichnet werden kann.
Durch diese Methode lassen sich erstmals die Details der Kernmagnetisierung messen – eine Eigenschaft, die bisher nur unzureichend zugänglich war. Jede beobachtete Verschiebung liefert ein Fenster in die interne Ausrichtung von Protonen und Neutronen und ermöglicht die Untersuchung fundamentaler Symmetrien im Atomkern.
Fundamentale Symmetrien und die Materie-Antimaterie-Diskrepanz
Ein besonders faszinierender Aspekt des Radiumkerns ist seine asymmetrische, birnenförmige Struktur. Theoretische Modelle sagen voraus, dass solche Kerne besonders empfindlich auf Verletzungen fundamentaler Symmetrien reagieren. Diese Symmetrieverletzungen könnten erklären, warum das Universum fast ausschließlich aus Materie besteht, während Antimaterie nahezu vollständig fehlt.
Die MIT-Forscher verfolgen daher das Ziel, Radium-Moleküle als hochsensible Detektoren dieser Symmetrieverletzungen einzusetzen. Ihre Experimente bieten damit einen möglichen Schlüssel zum Verständnis der frühesten Momente des Universums und der Mechanismen, die die materielle Struktur der heutigen Kosmos prägten.
Präzision, Methodik und experimentelle Herausforderungen
Die Durchführung der Experimente erfordert außergewöhnliche Präzision: Radium ist radioaktiv, die Moleküle liegen nur in minimalen Mengen vor, und die Elektronen müssen bei niedrigen Temperaturen in Vakuumkammern durch Laserstrahlung genau analysiert werden.
Das Team plante außerdem, Moleküle weiter zu kühlen und die Orientierung der birnenförmigen Kerne zu kontrollieren, um eine detaillierte Kartierung der Kernkräfte zu ermöglichen.
Dieses innovative Vorgehen zeigt, wie molekulare Systeme als Tischexperimente Teilchenphysik auf höchstem Niveau zugänglich machen können – jenseits der kilometerlangen Kollisionsanlagen. Es eröffnet Perspektiven für eine neue Generation von Experimenten, die Kernstruktur, Kernkräfte und fundamentale Symmetrieverletzungen simultan untersuchen können.
With a new molecule-based method, physicists peer inside an atoms nucleus https://t.co/i2adE2cQtf #npx pic.twitter.com/n84VGDFV96
— MIT Physics (@MIT_Physics) October 24, 2025
Bedeutung für die Zukunft der Kernphysik
Die Arbeit von Wilkins, Garcia Ruiz und Kollegen legt das Fundament für tiefgehende Untersuchungen der Kernmagnetisierung in schweren, asymmetrischen Kernen. Sie ermöglicht die Prüfung theoretischer Modelle der Elektron-Kern-Wechselwirkung und liefert neue Einblicke in fundamentale physikalische Prinzipien.
Darüber hinaus könnten diese Erkenntnisse helfen, die Grenzen des Standardmodells der Teilchenphysik auszuloten und die Frage zu beantworten, warum das Universum aus Materie besteht, während Antimaterie nahezu fehlt. Mit der Verbindung von präziser Laser-Spektroskopie, molekularer Kontrolle und modernster theoretischer Analyse eröffnen sich somit neue Horizonte in Kernphysik, Kosmologie und der Untersuchung fundamentaler Symmetrien.
Quelle
Wilkins, S. G., Udrescu, S. M., Athanasakis-Kaklamanakis, M., Garcia Ruiz, R. F., Belosevic, I. et al. 2025. Observation of the distribution of nuclear magnetization in a molecule. Science.