London Underground Mosquito: Alte Mücke mit neuer Geschichte – der wahre Ursprung liegt im Nahen Osten

Der London Underground Mosquito wurde lange Zeit für einen Briten gehalten. Doch die Stechmücke, die im Zweiten Weltkrieg in der Londoner U-Bahn entdeckt wurde, stammt aus dem östlichen Mittelmeerraum, sagen nun Wissenschaftler.

Der Londoner Underground Mosquito galt lange als Paradebeispiel evolutionärer Anpassung – zu unrecht, sagen Experten.
Der Londoner Underground Mosquito galt lange als Paradebeispiel evolutionärer Anpassung – zu unrecht, sagen Experten. Bild: Wikimedia Commons/Axnuya/ CC BY-SA 4.0

Lange stand der London Underground Mosquito symbolisch dafür, wie anpassungsfähig die Natur sein kann. Die Stechmücke war angeblich im 19. Jahrhundert in den Tunneln der britischen Hauptstadt aufgekommen und hatte sich dort als eigenständige Art etabliert. Doch eine neue Studie stellt die populäre Geschichte nun infrage.

Der London Underground Mosquito (Culex pipiens f. molestus) wurde nach der Londoner Untergrundbahn benannt, weil die Londoner Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg dort während der Bombenangriffe der Nazis untergekommen und von dem Insekt geplagt worden war.

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) konnte mit umfassenden Genomanalysen zeigen, dass die Mückenform, wissenschaftlich Culex pipiens molestus, bereits vor mehr als 1000 Jahren im Mittelmeerraum oder Nahen Osten aufkam, nämlich im Umfeld früher landwirtschaftlicher Siedlungen.

Damit wird ein Mythos widerlegt, der jahrzehntelang in Lehrbüchern und Medien kursierte. Die Vorstellung, eine Mückenart habe sich in nur wenigen Generationen an das Leben unter der Erde angepasst, galt als Paradebeispiel für schnelle urbane Evolution. Tatsächlich aber, so zeigen die neuen Daten, entwickelte sich die Mücke über Jahrhunderte hinweg – eng verbunden mit der Geschichte menschlicher Besiedlung.

Eine uralte Stadtbewohnerin?

Culex pipiens molestus ist heute vor allem in warmen, feuchten und häufig unterirdischen Lebensräumen anzutreffen, vor allem in Kellern, U-Bahn-Schächten oder Abwassersystemen. Sie paart sich auf engem Raum, bleibt im Winter aktiv und bevorzugt den Menschen als Wirt. Weibchen können ihre erste Eiergeneration sogar ohne Blutmahlzeit entwickeln – das seltene Verhalten wird als Autogenie bezeichnet.

Der Londoner U-Bahnhof Aldwych als Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg.
Der Londoner U-Bahnhof Aldwych als Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg. Bild: Public Domain/ HU 44272/Imperial War Museums

Ihre nahe Verwandte, Culex pipiens pipiens, lebt hingegen oberirdisch, bevorzugt Vögel, hält Winterschlaf und benötigt offene Flächen zur Paarung. Äußerlich lassen sich beide Formen kaum unterscheiden, genetisch jedoch schon – und diese Unterschiede waren Gegenstand der neuen Studie, die jüngst in Science veröffentlicht wurde.

Historische DNA-Spuren

Das Team um Prof. Lindy McBride und Yuki Haba von der Princeton University analysierte das Erbgut von mehr als 800 Mücken aus 44 Ländern. Darunter befanden sich auch historische Exemplare aus Museumssammlungen in London. Mit modernsten Sequenzierungstechniken rekonstruierten die Forschenden die evolutionäre Geschichte der Art und entdeckten, dass molestus ihren Ursprung nicht in europäischen Städten, sondern im östlichen Mittelmeerraum hat, möglicherweise in Ägypten oder Mesopotamien.

„Am bemerkenswertesten finde ich, dass sich die Mücken schon vor Tausenden von Jahren oberirdisch in frühen Siedlungen an den Menschen anpassten“, erklärt Dr. Mine Altinli vom BNITM, die gemeinsam mit Dr. Tatiana Sulesco Proben beisteuerte.

Eigenschaften, die vermutlich als Reaktion auf jene frühen Lebensräume entstanden sind, ermöglichen es ihnen heute, in modernen Städten und unterirdischen Räumen zu gedeihen.

Die Forschenden vermuten, dass die zunehmende Sesshaftigkeit früher Agrargesellschaften, mit Vorratsspeichern, Wasserbecken und Tieren in unmittelbarer Nähe des Menschen, entscheidend für die Anpassung der Mücke war. So entstand eine Form, die sich auf den Menschen als Blutquelle spezialisierte, lange bevor es U-Bahn-Schächte oder Großstädte gab.

Bedeutung für die Gesundheit

Culex pipiens molestus gilt als wichtiger Überträger von Krankheitserregern wie dem West-Nil-Virus. Da die Mückenform in urbanen Gebieten weltweit vorkommt und sich gut an menschliche Lebensräume anpasst, verbessern solche Untersuchungen die Risikoeinschätzung.

Dass die Art bereits seit Jahrhunderten mit dem Menschen koexistiert und sich genetisch stark diversifiziert hat, könnte darauf hinweisen, wie sich Überträger von Infektionskrankheiten künftig in Städten verhalten. Auch die Entstehung von Hybridformen, die sowohl Vögel als auch Menschen stechen und daher wichtig für die Übertragung von Viren sind, lässt sich besser nachvollziehen.

Die Form molestus hat sich vor Tausenden von Jahren im Mittelmeerraum entwickelt.
Die Form molestus hat sich vor Tausenden von Jahren im Mittelmeerraum entwickelt. Bild: Haba et al., 2025

Damit ist der London Underground Mosquito das Ergebnis einer langen gemeinsamen Geschichte zwischen Mensch und Tier. „Diese langfristige Beziehung zu verstehen, ist entscheidend, um die heutigen Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit anzugehen“, so Dr. Altinli.

Damit muss ein bekanntes Lehrbuchbeispiel korrigiert werden: Anstatt ein Symbol für die rasante Anpassung an urbane Lebensräume zu sein, bezeugt die Mücke vielmehr die frühe Koevolution zwischen Mensch und Umwelt – die vor Jahrtausenden begann und unsere Städte bis heute prägt.

Quellenhinweis:

Haba, Y., et al. (2025): Ancient origin of an urban underground mosquito. Science, 390, 6771.