Langeweile als Chance begreifen: Warum das unangenehme Gefühl wertvoller ist, als wir denken
Im Zeitalter der sozialen Medien scheint die Langeweile ausgestorben zu sein. Doch Forscher sagen, dass sie eine wichtige Funktion erfüllt und dass sie eine Botschaft sei, der man zuhören und auf die man reagieren sollte.

Im Zeitalter des Smartphones scheint Langeweile eine aussterbende Erfahrung zu sein. Unterhaltungsangebote, Podcasts und soziale Medien begleiten die Menschen auf Schritt und Tritt und lassen Momente der Leere kaum zu. Doch wer sich vornimmt, bewusster mit digitalen Medien umzugehen, könnte sich wieder häufiger mit dem Gefühl der Langeweile konfrontiert sehen.
Doch genau wie Schmerz hat auch Langeweile eine wichtige Funktion, erklärt James Danckert, kognitiver Neurowissenschaftler und Professor an der University of Waterloo: „Schmerz ist ein Signal, das einen gewissermaßen zum Handeln antreibt, um das anzugehen, was den Schmerz überhaupt erst verursacht hat. Langeweile funktioniert ähnlich.“
Was Langeweile wirklich ist
Im CNN-Podcast „Chasing Life“ beschreibt Danckert Langeweile als „Verlangen nach Verlangen“. Der Verhaltensforscher definiert sie als den Wunsch, sich mit etwas Sinnvollem zu beschäftigen, kombiniert mit der Frustration, dass gerade nichts Passendes zur Verfügung steht. Es gehe dabei weniger um Inaktivität, sondern um einen unerfüllten Drang, sich mit der Welt auseinanderzusetzen.
Doch wie kann man sinnvoll mit Langeweile umgehen? Der Experte betont, dass es kein allgemeingültiges Rezept gibt. Statt anderen Vorschläge zu machen, wie sie ihre Zeit füllen können, empfiehlt er, ihnen die Freiheit zu lassen, selbst eine Lösung zu finden. „Man nimmt den Menschen gewissermaßen die Entscheidungsfreiheit, indem man versucht, ihnen zu sagen, was sie tun sollen.“
Strategien gegen Langeweile
Für den eigenen Umgang schlägt Danckert vor, eine Liste möglicher Aktivitäten parat zu haben, von kreativen Projekten bis hin zu alltäglichen Aufgaben. Wichtig sei, mehrere Optionen zu haben, falls die bevorzugte Wahl nicht funktioniert. „Für mich ist die erste Option, dass ich mich meiner Gitarre zuwende“, sagt Danckert. „Aber dann sollte man eine zweite, dritte oder vierte Option haben.“
Gedankenloses Scrollen durch soziale Medien sei dagegen keine Lösung. Zwar bieten Plattformen Zugang zu Communities oder Lerninhalten, doch das ziellose Konsumieren verstärke Langeweile langfristig. „Unsere Telefone und sozialen Medien sind keine Lösung für unsere Langeweile. Tatsächlich können sie sie noch verschlimmern.“
Ein verbreitetes Missverständnis ist, dass Langeweile automatisch kreative Impulse fördert. Die Beweise für diese Behauptung seien sehr schwach, sagt Danckert.
Vielmehr sei es die bewusste Entscheidung für Auszeiten, die Raum für kreative Gedanken schaffe. Kreativität erfordere bereits bestehende Ausdrucksmöglichkeiten, wie Musikinstrumente oder künstlerisches Gestalten, die in Momenten der Langeweile genutzt werden können.
Hinhören statt Flucht
Statt Langeweile zu glorifizieren oder zu vermeiden, schlägt der Neurowissenschaftler vor, sie als neutral zu betrachten: Langeweile sei eher eine Botschaft, der man zuhören und auf die man reagieren sollte. Dies könne ein Spaziergang, ein kreatives Projekt oder auch bewusste Entspannung vor dem Fernseher sein, solange die Entscheidung aktiv getroffen wird.
Auch die Vorstellung, dass „nur langweilige Menschen sich langweilen“, hält der Experte für falsch. „Wir sind keine langweiligen Menschen. Wir sind nur anfällig für eine sehr häufige, sehr normale menschliche Erfahrung.“ Statt verurteilend zu reagieren, sollten wir lernen, Langeweile als Chance zu betrachten, innezuhalten und uns auf sinnvolle Weise mit der Welt zu verbinden.
Langeweile mag unangenehm sein, doch sie ist keine Schwäche, sondern vielmehr eine Möglichkeit zur Reflexion und Neuausrichtung. Wer sie bewusst annimmt, kann neue Wege finden, sich mit dem Leben zu beschäftigen, weit über das nächste Scrollen hinaus.
Quellenhinweis:
Nettinga, J., Gutglick, R., Danckert, J. (2023): Exploring the relation between state and trait boredom and various measures of creativity. Journal of Boredom Studies, 1, 1–28. https://doi.org/10.5281/zenodo.7993881
Wilson, T. D., et al. (2014): Just think: The challenges of the disengaged mind. Science 345, 75–77. https://doi.org/10.1126/science.1250830
Larson, R., & Richards, M. (1991): Boredom in the Middle School years. Blaming schools versus blaming students. American Journal of Education. 99, 4, 418–443. https://doi.org/10.1086/443992