Klimaveränderungen und Artensterben gemeinsam betrachten!

Die mit dem Klimawandel verbundenen Probleme und das Verschwinden vom Arten sind zwei Krisen, die Wissenschaft und Gesellschaft häufig getrennt betrachten. Dabei bedingen und verstärken sie sich gegenseitig. In einem aktuellen Forschungsbericht fordern die Autoren einer neuen Studie ein Umdenken.

Biodiversität und Klima
Über die Biodiversitätskrise und die Klimaveränderungen

Der menschengemachte Klimawandel hat in Verbindung mit der intensiven Nutzung und Zerstörung natürlicher Ökosysteme durch Landwirtschaft, Fischerei und Industrie einen beispiellosen Artenschwund ausgelöst. Dieser schreitet ebenso voran wie die zunehmende Erderwärmung. Ein internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) hat nun in einer am 29. April 2023 im Fachmagazin Science veröffentlichten Übersichtsstudie ein Umdenken gefordert. Neben der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels muss auch der Schutz und die Renaturierung von mindestens 30 Prozent der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen in das Handlungsspektrum rücken.

Drastischer Verlust von Tier- und Pflanzenwelt

Der Mitautor der Studie, Hans-Otto Pörtner, ist Leiter der Sektion integrative Ökophysiologie am AWI. Er betonte bei der Vorstellung der Ergebnisse, dass die Klimakrise die wahrscheinlich größte Herausforderung sei, der sich die Menschheit in ihrer 300.000-jährigen Geschichte stellen müsse. Pörtner sagte weiter: » Zeitgleich vollzieht sich … eine zweite, ebenso bedrohliche Krise, die häufig etwas untergeht – der drastische Verlust von Tier und Pflanzenarten auf dem ganzen Planeten.« Die neue Studie zeige die Zusammenhänge von Biodiversitäts- und Klimakrise. Sie enthält Lösungsansätze, mit denen die Menschheit beiden Katastrophen begegnen- und die schon heute drastische Folgen abmildern kann.

An der Studie haben 18 internationale Experten mitgearbeitet. Sie basiert auf einen wissenschaftlichen Workshop vom Dezember 2020 unter Beteiligung von 62 Mitwirkenden aus 35 Ländern. Organisierr wurde der Workshop unter anderem von der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) und dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), die auch als Weltbiodiversitätsrat bzw. als Weltklimarat bekannt sind.

Natur als Dienstleister beim Klimaschutz

Der Mensch hat im Laufe der Geschichte rund 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Ozeangebiete der Erde verändert. Das führte dazu, dass inzwischen 80 Prozent der natürlich vorkommenden Säugetiere sowie 50 Prozent der Pflanzen verloren gingen. Jedes Jahr sind mehr Arten vom Aussterben bedroht als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte.

Gesellschaft und Politik nehmen Naturschutz und Klimaschutz als getrennte Themenbereiche wahr. Dabei bleibt völlig unbeachtet, dass die Natur grundsätzlich einen bedeutenden Teil der klimaschädlichen CO₂-Emissionen absorbiert. Zum einen sind die Ozeane CO2-Reduktoren, indem sie physikalischen einen Teil des sich anhäufenden CO₂ lösen und speichern. Zum anderen wirkt die Biologie an Land als Regulativ, indem Pflanzen und vor allen Dingen Bäume als natürliche CO₂-Speicher dienen. Pörtner betonte: »Diese kostenlosen Dienstleistungen gefährden wir, indem wir den Klimawandel laufen lassen und damit die Fähigkeit der Natur - also der Pflanzenwelt an Land und im Meer - schwächen, uns das Kohlendioxid abzunehmen.«

Die Abholzung von tropischen Regenwäldern im Amazonasgebiet ist ein Beispiel dafür, wie wir durch unser Handeln die Natur an ihrer natürlichen Aufgabe stören und schwächen. Die so entstehenden baumlosen Flächen nutzen wir entweder industriell oder landwirtschaftlich. Pörtner schätzt, dass der Treibhausgas-Emissionsanteil im Bereich Landnutzung und Landwirtschaft bei 25 bis 30 Prozent liegt.

Netzwerk von Schutzgebieten als Kernforderung

Das an der Studie beteiligte Wissenschaftsteam hat Vorschläge erarbeitet, mit denen die Menschheit dem Klimawandel und gleichzeitig dem Artenschwund begegnen - und auch die sozialen Folgen abmildern kann. Ganz oben auf der Liste stehen laut Pörtner die massive Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels.

Ferner fordern die Wissenschaftler, das mindestens 30 Prozent der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen verbindlich unter Schutz gestellt werden und zu renaturieren seien. Damit würden die größten Biodiversitätsverluste vermieden und Ökosysteme würden in ihrer Funktion der Reduktion von CO2-Emisionen nicht nur erhalten, sondern gestärkt.

Der Studie zufolge könnte schon eine Renaturierung von lediglich 15 Prozent der zu Nutzland umgeformten Flächen ausreichen, um 60 Prozent der heute bedrohten Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben zu bewahren.

Schutzgebiete dürfen nicht als isolierte Rettungsinseln für Artenvielfalt begriffen werden. Ihre Rolle ist die eines weltumspannenden Netzwerks zu Wasser und zu Land sein. Dieses verbindet Gebiete mit naturnaher Wildnis in einer Weise, dass Arten sich von einem zum anderen Schutzgebiet bewegen. Damit erhält die Natur ein Gebiet von 30% in »Selbstverwaltung«, ohne dass in benachbarten Gebieten eine nachhaltige Nutzung durch den Menschen ausgeschlossen ist.

Globales Schutzmanagement

Voraussetzung für die Autoren der Studie ist ein Umdenken in der Gesellschaft bei der Ernährungsfrage. Landflächen sollen für Renaturierung und für ökologischen Landbau freigemacht werden. Dies bedingt eine Umstellung der Ernährung auf fleischarme und pflanzenreiche Kost. Ziel müsse es sein, davon wegzukommen, dass z.B. in Deutschland 60 Prozent und weltweit 80 Prozent der Kulturflächen dafür benutzt würden, um Tierfutter herzustellen, um dann über Massentierhaltung menschliche Ernährung voranzutreiben.

Ein globales Schutzmanagement sollte auch die Integration von indigenen Gesellschaften beinhalten. Diese müssen ihre traditionellen Rechte einer nachhaltigen Nutzung zugestanden werden. Von den natürlichen Fähigkeiten indigener Völker könne die gesamte Zivilisation lernen, so einer der Aussagen der Autoren der Studie.

Mensch und Natur im Miteinander denken

Der Kernsatz der Studie betrifft das Recht der Natur auf Selbstentfaltung. Dieses Recht nimmt heute der Mensch de facto im Alleingang wahr. Die Studie zeigt die Wichtigkeit eines harmonischen Miteinanders von Mensch und Natur, mit dem Ziel, sowohl die Biodiversitätskrise als auch die Probleme der Klimaveränderungen zu bewältigen.

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