Kleine Fische, große Taktik: Wie giftige Anemonen in der Tiefsee zum lebensrettenden Schutzschild werden

Sie sind winzig, verletzlich – und clever. Junge Fische in der Tiefsee schmieden ungewöhnliche Allianzen mit giftigen Anemonen. Eine neue Studie enthüllt ein raffiniertes Überlebensmanöver.

Symbolbild, Anemonenfische, Unterwasserlebensraum
Symbolbild: Paar lila-weiß gestreifter Anemonenfische in lebendigem Unterwasserlebensraum.

Eine neue Studie zeigt überraschende Symbiosen zwischen jungen Fischen und pelagischen Anemonenlarven – ein evolutionärer Überlebensvorteil in der Dunkelheit der Tiefsee.

Im offenen Ozean, fernab von Riffen und festen Strukturen, ist das Überleben für Jungfische besonders gefährlich. Ohne Versteckmöglichkeiten sind sie leichte Beute für Fressfeinde.

Doch neue Forschungen zeigen: Einige Fischarten haben im pelagischen Lebensraum eine ungewöhnliche Strategie entwickelt – sie verbünden sich mit giftigen Nesseltieren, um sich zu schützen.

(Pelagisch bezeichnet Organismen, die frei im offenen Wasser schwimmen und nicht am Meeresboden leben.)

In einer im September 2025 veröffentlichten Studie im Journal of Fish Biology dokumentieren Gabriel V. F. Afonso und Kolleg*innen erstmals Beobachtungen von jungen Fischen, die aktiv mit Larven von Anemonenarten interagieren. Die Aufnahmen stammen aus sogenannten „Blackwater Dives“ – nächtlichen Tauchgängen in epipelagischen Zonen (8–20 Meter Tiefe), bei denen Organismen in ihrer natürlichen Umgebung fotografiert wurden.

Vier Fischfamilien, drei Anemonenarten

Die Forscher identifizierten Jungfische aus vier Familien – darunter der Filefish Aluterus schoepfii, Ariomma regulus, Arten der Gattung Brama sowie Caranx cf. latus – in enger Nähe zu Anemonenlarven. Diese gehörten zu den Familien Cerianthidae, Arachnactidae (beide bekannt als Röhrenanemonen) und Sphenopidae (Zoanthiden).

In mehreren Fällen hielten die Fische die Anemonenlarven direkt mit dem Maul oder mit den Bauchflossen fest. Andere schwammen eng um sie herum – offenbar, um sich hinter den nesselnden Tentakeln zu verstecken.

Schutz und mögliche Vorteile für beide Partner

Die beobachteten Anemonenlarven besitzen bereits funktionstüchtige Nesselzellen – ein potenter Schutz gegen Fressfeinde. Für die Fische bietet die Nähe zu den Nesseltieren daher einen klaren Überlebensvorteil.

Besonders auffällig: Ein Filefish-Jungtier hielt eine Palythoa-Larve – bekannt für ihre Giftigkeit – im Maul, ließ sie auch bei Annäherung des Tauchers nicht los, zeigte aber keinerlei Verletzung. Das deutet auf eine gezielte Schutzstrategie hin.

Doch könnten auch die Anemonen profitieren?

Die Forscher vermuten, dass die Anemonenlarven durch den mitreisenden Fisch größere Distanzen überwinden können – ein Vorteil bei der Besiedlung neuer Lebensräume. Dies wäre ein Hinweis auf eine mögliche frühe Form mutualistischer Symbiose im offenen Meer.

Neue Erkenntnisse durch Blackwater-Tauchen

Die Beobachtungen wurden zwischen 2014 und 2023 in Florida und Französisch-Polynesien gemacht. Sie zeigen, dass sich der Blick auf Fisch-Invertebraten-Interaktionen erweitert: Solche Symbiosen sind nicht nur im Korallenriff, sondern auch im offenen Ozean möglich – sogar zwischen Organismen, die sich in späteren Lebensphasen am Meeresboden niederlassen.

Zudem unterstreicht die Studie die Bedeutung von Community Science: Viele der Aufnahmen stammen von engagierten Hobby-Tauchern, deren Beiträge nun zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen.

Quelle

Afonso, G.V.F., Johnson, G.D., Collins, R. & Pastana, M.N.L. (2025). Associations between fishes (Actinopterygii: Teleostei) and anthozoans (Anthozoa: Hexacorallia) in epipelagic waters based on in situ records. Journal of Fish Biology.