Insektensterben könnte Europa 24 Milliarden Euro kosten – Forscher warnen vor globalen Folgen
Ein dramatisches Szenario: Ein weitgehendes Verschwinden wilder Bestäuber bis 2030 könnte die Europas Wirtschaft 24 Milliarden Euro kosten – und die weltweite Ernährungssicherheit massiv gefährden. Das geht aus einer neuen Simulation hervor.

Das Insektensterben bedroht Wirtschaft, Ernährung und globale Stabilität. Eine neue Simulation der Universität Hohenheim zeigt, was passieren würde, wenn die wildlebenden Bestäuber in Europa bis 2030 weitgehend verschwänden. Das Ergebnis ist alarmierend.
– Prof. Dr. Arndt Feuerbacher, Universität Hohenheim, Fachgebiet Ökonomisch-ökologische Politikmodellierung
Das Forschungsteam um Professor Arndt Feuerbacher hat berechnet, dass ein Rückgang der Insektenpopulationen um 90 Prozent gegenüber dem Jahr 2017 einer ökologischen Katastrophe gleichkäme. „Regionen wie Spanien oder Teile Osteuropas, die stark von wildlebenden Bestäubern abhängen, müssten sogar mit Ertragseinbußen von über 20 Prozent rechnen“, warnt der Experte. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.
Ein Kollaps mit Folgen
Wildlebende Insekten bestäuben viele Obst-, Gemüse- und Ölpflanzen. Fallen sie aus, sinken die Erträge dramatisch. Während Getreidearten wie Weizen oder Mais kaum betroffen wären, würden die Ernten von Obst, Gemüse und Ölsaaten einbrechen – im europäischen Durchschnitt um rund 13 Prozent. Das treibt die Preise nach oben, verknappt das Angebot und gefährdet die Ernährungssicherheit. Zwar könnten einige Landwirte kurzfristig von höheren Preisen profitieren, sagt Feuerbacher, doch die gesellschaftlichen Verluste überwiegen bei Weitem.
Das Insektensterben hätte auch globale Auswirkungen. Die EU, derzeit ein Nettoexporteur vieler Obst- und Gemüsearten, würde zum Importeur werden. Länder in Asien sowie Mittel- und Südamerika könnten den Berechnungen zufolge rund 80 Prozent der zusätzlichen europäischen Nachfrage decken, allerdings zu höheren Preisen.
Weltweit würden Verbraucher und Verbraucherinnen durch steigende Preise belastet, so Feuerbacher. Besonders arme Haushalte, die einen großen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, wären stark betroffen. Die Forschenden schätzen den weltweiten wirtschaftlichen Verlust infolge des Bestäuberrückgangs auf über 34 Milliarden Euro.
Ernährungssicherheit in Gefahr
Neben wirtschaftlichen Verlusten hätte der Insektenschwund gravierende Folgen für die menschliche Ernährung. Obst, Gemüse und Ölsaaten sind zentrale Quellen wichtiger Nährstoffe wie Vitamin A und Folat. Die Simulation zeigt, dass die Verfügbarkeit von Vitamin A in der EU um durchschnittlich 3,7 Prozent sinken würde.
– Professorin Christine Wieck, Leiterin des Fachgebiets Agrar- und Ernährungspolitik, Universität Hohenheim, Mitautorin der Studie
Die gestiegene europäische Nachfrage nach nährstoffreichen Lebensmitteln könnte zudem in anderen Weltregionen zu Engpässen führen. Besonders in Afrika, Lateinamerika und Asien drohten Defizite, da die Konkurrenz um vitaminreiche Produkte zunimmt.

Bemerkenswert ist laut den Forschenden auch die politische Dimension. Gerade jene Länder, die am stärksten vom Rückgang der Bestäuber betroffen wären, zeigen oft die geringste Unterstützung für den Biodiversitätsschutz, etwa durch das Nature Restoration Law und die Sustainable Use Regulation.
Feuerbacher vermutet, dass die starke wirtschaftliche Abhängigkeit von der Landwirtschaft das politische Abstimmverhalten beeinflussen könnte – allerdings bedarf das Thema weiterer wissenschaftlicher Untersuchung.
Schutz ist billiger als Verlust
Die Studie macht klar, dass der Schutz wilder Bestäuber ökonomisch sinnvoll ist. Sie sichern neben den Erträgen auch die Stabilität ganzer Ökosysteme. Ein Rückgang würde neue landwirtschaftliche Flächen erzwingen, was weitere Verluste an Biodiversität zur Folge hätte.
– Prof. Dr. Arndt Feuerbacher, Universität Hohenheim, Fachgebiet Ökonomisch-ökologische Politikmodellierung
Für ihre Analyse nutzten die Hohenheimer Forschenden das agrarökonomische Simulationsmodell CAPRI, das Angebot, Nachfrage und Handel von rund 50 landwirtschaftlichen Produkten weltweit abbildet. Es unterscheidet zwischen wildlebenden und bewirtschafteten Bestäubern wie Honigbienen.
„Unser Szenario beschreibt mit einem 90-prozentigen Rückgang der Wildbestäuber einen Extremfall, der zwar unwahrscheinlich, aber leider nicht ausgeschlossen ist“, sagt Professor Johannes Steidle, Experte für Chemische Ökologie. Die Simulation verdeutlichte eindrücklich, wie eng ökologische und ökonomische Stabilität miteinander verflochten sind – und wie teuer das Verschwinden der Wildbestäuber letztlich für uns alle werden könnte.
Quellenhinweis:
Feuerbacher, A., Kempen, M., Steidle, J. L. M. et al. (2025): The economic, agricultural, and food security repercussions of a wild pollinator collapse in Europe. Nature Communications, 16, 989.