Die Meere: Müllhalde von Schadstoffen als Teil unseres Lebens

Hormonell aktive Substanzen, Zusatzstoffe aus Reifen, Pestizide von Äckern und Feldern: In den Ozeanen findet sich ein Potpourri von Schadstoffen, die in der aquatischen Tierwelt tödliche Wirkung entfalten können. Die wissenschaftliche Untersuchung deren Auswirkungen ist herausfordernd.

Meeresverschmutzung
Die Meere: Müllkippen menschlicher Aktivitäten

Im Jahr 2004 veränderte eine im Fachjournal Science veröffentlichte Studie, wie fortan über die Verschmutzung der Meere gesprochen werden sollte. Der Meeresbiologe Richard Thompson von der Universität Plymouth prägte darin den Begriff Mikroplastik erstmals im heute verwendeten Kontext. Bereits Tage nach dem Erscheinen erreichte sein Artikel Lost at Sea: Where Is All the Plastic? großes mediales Echo.

Standen zuvor Verschmutzungen durch Schwermetalle, Kunstdünger, Pesitzide, Industrieabwässer, Öl- und Müllteppiche im Vordergrund, wurde nun Mikroplastik zum erschreckenden Sinnbild einer alles durchdringenden Kontaminierung.

Damit wurden sie von einer lokalen Unannehmlichkeit, die sich irgendwann „wegverdünnt“, zu einem überall nachweisbaren und stetig anwachsenden Problem.

Weitreichende Folgen: die Kaskade unseres Handelns

Mikroplastik kann wie ein Brandbeschleuniger zur Vermehrung anderer Schadstoffe wirken. Hintergrund ist die Tatsache, dass Mikroplastik für viele andere Stoffe zum Trägermaterial und Verteilmedium wird.

In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD beschrieb die Toxikologin Elisabeth Simböck die Situation wie folgt:

Das Meer ist eine große Senke aller möglichen Stoffe, die der Mensch in der Natur hinterlässt. Aufs Feld ausgebrachte Pestizide, über den Körper ausgeschiedene Medikamentenrückstände oder Schwermetalle von Farben landen schlussendlich im Ozean.

Die Forscherin an der FH Technikum Wien leitete unter anderem das Projekt „Stadt Wien -Kompetenzteam für Mikroplastik und Nanopartikel als Umweltrisiken". Im Projekt betrachtet wurden unter anderem Studien, die klimawandelbedingte Veränderungen mit den Effekten der Giftstoffe zusammendenken. Sie basieren auf Langzeitbeobachtungen mit evolutionsbiologischer Perspektive unter Einbeziehung einer gemeinsamen, analytischen Betrachtung verschiedener Biomoleküle.

Massensterben im Pazifik

Auf der kürzlich in Wien abgehaltenen Jahreskonferenz der Society of Environmental Toxicology and Chemistry (Setac) wurde ausführlich diskutiert, was Umweltgifte im Detail anrichten.

Als Beispiel wurde dazu die Problematik der Chemikalie 6PPD genannt. Dieser Zusatzstoff befindet sich vor allen Dingen in Fahrzeugreifen, um dort einer schnellen ozonbedingten Alterung vorzubeugen. 6PPD und seine Folgen gelten als Dauerbrenner in der aktuellen umwelttoxikologischen Forschung.

Im Jahr 2020 wurde bekannt, dass ein Umwandlungsprodukt der Substanz mit Namen 6PPD-Chinon für das Massensterben von Silberlachsen an der Pazifikküste der USA verantwortlich ist.

Der Reifenabrieb samt problematischem Zusatzstoff wurde durch Regenwasser und Straßenabfluss in Gewässer geschwemmt und traf dort auf die Zugwege der Lachse. Ich habe die Studie am Ende dieses Artikels verlinkt.

Seit 2020 folgte eine große Zahl weiterer Untersuchungen, die Verbreitung, biologische und molekularbiologische Wirkung sowie Auswirkungen von 6PPD-Chinon analysierten. Angesichts der kurzen Zeit, seit der das Problem bekannt ist, bleiben aber mehr offene Fragen als Antworten. Diese betreffen auch die gesamte Relevanz des Themas für die Ozeane der Welt.

Sachstandsberichte aus den USA bemerken, dass das Fehlen von Studien zur Toxizität in mündungsnahen und marinen Entwicklungsstadien von Salmoniden eine wesentliche Datenlücke darstellt. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2025 zum Thema habe ich ebenfalls am Ende dieses Artikels verlinkt.

Elisabeth Simböck betonte im STANDARD, dass es bereits Nachweise des 6PPD-Chinons in Gewässern wie den Großen Seen oder dem Sankt-Lorenz-Strom gäbe. Ähnliche Belastungen können auch in Küstenregionen auftreten, speziell in der Nähe von Flussmündungen mit ihren hohen Giftstoffeinträgen.

Simböck weiter

Ob und wie sich in diesen Übergangszonen 6PPD-Chinon anreichert und in die Nahrungsnetze gelangt, wird erst künftige Forschung klären können

Endokrine Disruptoren: Wirkung wie Östrogen

Eine weitere große Baustelle der Umwelttoxikologie ist die Erforschung endokriner Disruptoren. Damit werden Substanzen beschrieben, die über das Hormonsystem Einfluss auf Reproduktion und Sexualverhalten von Organismen haben, aber auch Stoffwechsel- und Nervensystemerkrankungen hervorrufen.

Elisabeth Simböck sagte dem STANDARD dazu:

Eine gut erforschte Substanz in diesem Bereich ist der Weichmacher Bisphenol A (BPA), der unter anderem Teil von Kunststoffen ist.

Er wirke wie Östrogen und könne zu einer Verweiblichung von Fischpopulationen führen, was ganze Ökosysteme verändern könne.

Lücke zwischen Test und Realität

Zu den vielen Beträgen der Wiener Konferenz gehörte auch eine Arbeit zur Toxizität von BPA bei Hitze als zusätzlichem Stressfaktor. Anhand des Salinenkrebses zeigten griechische Forschende, dass bei 30 Grad Wassertemperatur nur ein Fünftel der Konzentration des Giftstoffs nötig ist, um dieselbe Sterblichkeit wie bei 25 Grad zu verursachen.

Die Tatsache, dass die Gefahr von diesen und anderen Substanzen bei ihrer Entwicklung nicht erkannt wurde, unterstreicht die Relevanz einer modernen ökotoxikologischen Risikoabschätzung.

Simböck fordert weltweit standardisierte Testreihen, die kleinere Ökosysteme – sowohl an Land als auch zu Wasser – repräsentieren.

Derartige Untersuchungen erfolgen anhand von Mikroorganismen, lebenden Organismen wie Kleinkrebsen und Regenwürmern oder Zellkulturen stellvertretend für komplexere Arten wie den Menschen

beschreibt Simböck im STANDARD derartige Testreihen. Insgesamt sollen damit mehrere trophische Niveaus, also Stufen entlang der Nahrungskette, abgebildet werden.

Wie das seit den 1960er-Jahren verwendete 6PPD eindrucksvoll zeigt, bleibt immer eine Lücke zwischen Realität und Teststandards. Letztere sind von der Grundlagenforschung abhängig und können nur langsam aktualisiert werden.

So wurde an der Fakultät von Elisabeth Simböck im Zuge eines Forschungspraktikums auch jene salzige Lauge untersucht, die beim Betrieb von Entsalzungsanlagen zurückbleibt und gewöhnlich ins Meer zurückgepumpt wird.

Die untersuchte Sole einer Anlage auf Mallorca stellte sich dabei als toxisch heraus. Offen bleibt, ob Giftstoffe dafür verantwortlich sind – oder der hohe Salzgehalt, denn auch Salz ist in hoher Konzentration giftig für die Flora und Fauna im Meer.

Die Beispiele zeigen, dass die Wissenschaft vieles weiß und mindestens genauso vieles noch nicht weiß, da sich Zusammenhänge auch durch die Klimafolgen wie die Erwärmung des Meerwassers sehr deutlich und rasch verändern.

Sicher ist lediglich, dass wir die Kaskade der menschlichen Aktivitäten von Herstellung über Verwendung bis zum Eintrag von Giftstoffen in unsere Gewässer sehr stark unterschätzen. Dies ruft Folgen hervor, deren Konsequenzen wir zum heutigen Tag nur erahnen, aber nicht final bewerten können.

Links:

Studie zum 6PPD-Chinon aus dem Jahre 2020

Studie zum 6PPD-Chinon aus dem Jahre 2025