Cremes, Mayonnaise und Medikamente in der Schwerelosigkeit: Neues ESA-Experiment untersucht ihr Verhalten
Eine neue ESA-Apparatur namens COLIS untersucht auf der ISS, wie Cremes, Mayonnaisen, Proteine und andere weiche Materialien ohne Schwerkraft erstarren, fließen oder kristallisieren – mit bislang unerreichter Präzision

Wenn Cremes gerinnen, Proteine kristallisieren oder Mayonnaise flockt, liegt das Problem oft nicht am Rezept, sondern an der Schwerkraft. Sie zieht Flüssigkeiten nach unten, erzeugt Strömungen und Sedimentation – und beeinflusst damit Strukturen im Nano- und Mikrometerbereich.
Um diese Prozesse endlich ungestört untersuchen zu können, hat die Europäische Weltraumorganisation ESA ein Experiment entwickelt, das weltweit einzigartig ist:COLIS, ein hochentwickeltes Lichtstreuungslabor für die Internationale Raumstation ISS.
Ein Labor wie kein anderes
COLIS ist inzwischen als voll ausgestattetes Experimentallabor auf der International Space Station (ISS) etabliert und läuft in der Microgravity Science Glovebox (MSG).
Das System besteht aus einer modularen optischen Haupteinheit, einem austauschbaren Probenmodul und einer zentralen Recheneinheit, die Bildverarbeitung, Temperatursteuerung sowie Datenübertragung übernimmt — so kann COLIS autonom und über längere Zeiträume Messreihen durchführen.
Laserblicke ins Unsichtbare
Kern der Apparatur ist ein grüner Laser, dessen Licht an kleinsten Strukturen in der Probe gestreut wird. Sensoren messen, wie stark und in welchem Winkel dieses Licht verändert erscheint. Daraus berechnen Forschende die Bewegung von Partikeln, die Bildung von Netzen oder das Entstehen erster Kristallkeime.
Ergänzt wird das System durch spezielle Kameras, die die Streubilder als sogenannte Specklemuster aufnehmen – flirrende Punktfelder, die zeitliche und räumliche Veränderungen sichtbar machen.
Gezielte Hitze statt wilder Strömungen
Eine Besonderheit ist ein Infrarotlaser, der die Probe lokal erwärmt. Auf der Erde würde die Wärme durch Konvektion sofort verfrachtet – im All bleibt sie, wo sie entsteht.
Dadurch lassen sich Temperaturkarten im Mikrometermaßstab erstellen und konzentrierte Materialien wie pNIPAM-Gewebe kontrolliert erwärmen und wieder abkühlen.
Erste Tests zeigen: Glasartige Proben können durch solche Temperaturzyklen gezielt erweicht werden. Ein neuer Zugang, um die Eigenschaften weicher Materie zu verändern.
Relevanz für die Pharmaforschung
Besonders wertvoll ist COLIS für die Untersuchung von Proteinen. Viele Medikamente hängen von perfekten Proteinstrukturen ab, doch auf der Erde kristallisieren sie häufig ungleichmäßig.
Das kleinere Probenmodul von COLIS ermöglicht extrem stabile Temperaturen in winzigen Volumina. In Tests gelang es, Proteinkristallisation exakt auszulösen und die Bildung von Vorstufen direkt zu verfolgen – mit Ergebnissen, die bodengestützte Labore kaum erreichen.
PASTA! Not to eat, but the "PArticle STAbilised Emulsions & Foams" experiment in the #ISS Fluid Science Laboratory, which studies the development of bubbles in emulsions. Samples were removed & packed for return & samples for the new FOAM experiment are installed. #MissionMinerva pic.twitter.com/LVZZwA3ilI
— Samantha Cristoforetti (@AstroSamantha) August 12, 2022
Ein Allzwecklabor für die Zukunft der Soft-Matter-Forschung
Durch die Kombination verschiedener Lichtstreuungsmethoden, hochstabiler Temperaturkontrolle und innovativer Heizmöglichkeiten wird COLIS zu einem universellen Werkzeug.
Ob Lebensmitteltechnologie, Kosmetik oder Pharmaforschung: Weiche Materie verhält sich im Weltraum anders als auf der Erde – und COLIS wird helfen, diese Unterschiede zu verstehen. Viele Antworten, die bislang verborgen blieben, dürften nun erstmals sichtbar werden.
Quellen
Martinelli, A., Buzzaccaro, S., Galand, Q., et al. (2024). An advanced light scattering apparatus for investigating soft matter onboard the International Space Station. npj Microgravity, 10, 115.
Politecnico di Milano and Université de Montpellier Launch COLIS“ — Pressemitteilung vom 28. November 2025.