Abschmelzen antarktischer Gletscher durch schwindendes Meereis

Im Februar kam ein Team der British Antarctic Survey (BAS) auf einem Eisbrecher vor der Küste der Westantarktis zu einer erstaunlichen Erkenntnis: offenes dunkles Wasser, soweit das Auge reichte und kein Eis, dass das Schiff hätte brechen können. Bald darauf stellten Satellitenuntersuchungen fest, dass das Meereis rund um den antarktischen Kontinent ein volumenmäßiges Rekordtief erreicht hatte.

Antarktis
Antarktisches Meereis

Im Gegensatz zum schnell schrumpfenden arktischen Meereis schien das Eis um die Antarktis widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu sein. Jetzt könnte ein langfristiger Rückgang begonnen haben, der laut mehreren Studien bedrohliche Dominoeffekte nach sich ziehen kann. Das schwindende Meereis könnte den Ross Gyre, einen der beiden Wirbel, die im Südpolarmeer existieren, verstärken und damit wärmeres Wasser näher an Land bringen. Als Folge würde sich das Abschmelzen der westantarktischen Eisdecke beschleunigen und dadurch im schlimmsten Fall der globale Meeresspiegel um 3,3 Meter ansteigen.

Wärmeres Wasser verändert die globale Umwälzzirkulation

Das wärmere Wasser und die Gletscherschmelze, die von einem verstärktent Ross Gyre-Wirbel erwartet werden, zeigen bereits heute Hinweise auf eine Verlangsamung eines Teils der Umwälzzirkulation des globalen Ozeans. Diese kritische „Förderband“ an Strömungen ist ein Instrument zur Verteilung der Wasserwärme und reguliert die Speicherung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre.

Obwohl mittelfristige Klimamodelle einen Rückgang des antarktischen Meereises vorhersagten, hatte sich die antarktische Eisdecke bis vor einem Jahrzehnt leicht ausgedehnt. Dann begann das Eis von 2014 bis 2017 schnell zu schmelzen. Das Eis erholte sich einige Jahre lang wieder, setzte aber in den letzten beiden Jahren seinen Abwärtstrend fort und erreichte letztes Jahr und erneut in diesem Jahr Rekordtiefs.

Diese Schwankungen machen es schwierig zu sagen, ob der langfristige Prozess des abschmelzenden Eisschildes der Antarktis tatsächlich begonnen hat. Auch kurzfristige Klimaschwankungen wie El Niño und Schwankungen in den Winden des Südlichen Ozeans spielen vermutlich eine Rolle. Allerdings ist in einigen Regionen – darunter den Meeren vor der Westantarktis – ein Rückgang bereits unverkennbar.

In diesen Gewässern, verborgen unter Meereis, dreht sich das 1000 Kilometer breite Ross Gyre, gespeist von warmen Strömungen aus dem Norden. Ein Team von Ozeanographen der BAS soll herausfinden, wie sich abnehmendes Meereis auf den Wirbel auswirken könnte. Das Team arbeitet mit den Kriterien des UK Earth System Models, einem im Jahr 2017 begonnenen Klimamodell.

Im Februar enthielten die Meere westlich der Antarktischen Halbinsel fast kein Eis, was laut der Forschungsgruppe ein Zeichen für einen langfristigen Rückgang sein könne. Das Forschungsteam fand heraus, dass die Kraft der Oberflächenwinde auf neu freigelegtem Wasser den Ross Gyre Wirbel verstärken und ausdehnen. Ihre Ergebnisse publizierten sie im Geophysical Research Letter unter dem Titel Projected West Antarctic Ocean Warming Caused by an Expansion of the Ross Gyre“.

Der größere Wirbel brachte warmes Wasser näher an die Gletscher der Westantarktis, die als Schelfeis in den Ozean fließen und besonders anfällig für das Abschmelzen von unten sind. Innerhalb von 30 Jahren nach seiner potentiellen Ausdehnung könnte der Wirbel das Wasser unter den Gletschern um 1°C erwärmen, und somit die Erosion des Eises beschleunigen.

Besonders alarmierend war es für die Forscher, dass sich der Wirbel sogar in Szenarien ausdehnte, in denen die Treibhausgasemissionen zurückgingen und sich die Klimaerwärmung verlangsamte.

Die Meeresgrund-Wasserfabrik

Wenn sich der Ross Gyre Wirbel ausdehnt, würde er auch warmes Wasser und Süßwasser von den schmelzenden Gletschern von den Eisschelfs weg in Richtung des Rossmeers leiten. Dies würde sich störend auf das Wasser am Meeresgrund der Antarktis auswirken. Meereis bildet sich ständig und wird im Rossmeer verweht. Beim Schmelzen und angereichert mit vom Eis ausgestoßenem Salz wird Oberflächenwasser schwer genug, um nach unten zu sinken. Diese „Meeresgrund-Wasserfabrik“ ist einer der Motoren für die globale Umwälzzirkulation, also die großräumigen Strömungen, die Wärme und Nährstoffe durch die Ozeanbecken der Welt transportieren und gleichzeitig Kohlendioxid in der Tiefsee speichern.

Laut einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie haben Unterwasseruntersuchungen mit Deep-Argo-Tauch-Schwebebooten festgestellt, dass die Erwärmung dieses Meeresgrundwasser tatsächlich begonnen hat. (Deep Argo Reveals Bottom Water Properties and Pathways in the Australian-Antarctic Basin). Darüber hinaus ergab eine ebenfalls 2022 veröffentlichte Aufzeichnung aus dem Rossmeer, dass die Dichte der Gewässer nahe der Oberfläche stetig abgenommen hat. Beide Effekte könnten dazu beitragen, dass die „Meeresgrund-Wasserfabrik“ ins Stocken gerät und die globale Umwälzzirkulation negativ verändert.

Vor kurzem veröffentlichte eine Gruppe unter der Leitung eines physikalischen Ozeanographen am Massachusetts Institute of Technology in der Zeitschrift Nature ein neues hochauflösendes Ozeanmodell. In ersten Prognosen zeigte sich, dass die unteren Bereiche der Umwälzzirkulation bis zum Jahr 2050 um 40 % geschwächt sein könnten.

Die wesentlichste Erkenntnis daraus bedeutet, dass die Fähigkeit des Ozeans, den Klimawandel dadurch abzuschwächen, ebenfalls ins Wanken geraten könnte. Immerhin absorbieren die Ozeane der Erde nahezu ein Drittel der jährlich ausgestossenen CO₂-Emissionen.

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