Warum manche Vulkane nicht ausbrechen – auch wenn sie dramatisch explodieren müssten

Warum manche Vulkane trotz gasreichem, zähflüssigem Magma nicht explosionsartig ausbrechen, gehört zu den großen Fragen der Vulkanologie. Forscher haben nun herausgefunden, dass die Scherkräfte innerhalb des Vulkans beeinflussen, wie sich das Magma verhält.

Vulkane wie der Mount St. Helens in den USA führen zuweilen ruhige Lava. Bild: Pixabay
Vulkane wie der Mount St. Helens in den USA führen zuweilen ruhige Lava. Bild: PixabayBild: Pixabay

Einige Vulkane brechen einfach nicht aus – auch wenn alle Anzeichen auf einen Ausbruch hindeuten. Doch woran liegt das? Eine neue Studie will nun das Phänomen besser verstehen, indem sie auch die Scherkräfte innerhalb von Vulkanen berücksichtigt.

Scherkräfte sind Kräfte, die Materialien in zwei entgegengesetzte Richtungen ziehen und gegebenenfalls verzerren.

Die Forschungsarbeit, an der auch die ETH Zürich beteiligt war, zeigt, dass Gasblasen im Magma nicht nur dann entstehen, wenn der Druck während des Aufstiegs sinkt, sondern auch dann, wenn starke Scherkräfte wirken. Die mechanische Knetbewegung kann tief im Vulkanschlot Gasblasen wachsen lassen, die sich frühzeitig zu Entlüftungskanälen verbinden. Dadurch entweichen Gase bereits, bevor sie genug Druck für einen explosiven Ausbruch aufgebaut haben.

Unterschätzte Scherkräfte

Damit erweitert die in Science veröffentlichte Studie die bisherige Vorstellung erheblich. Bisher wurde angenommen, dass die im Magma gelösten Gase vor allem durch Druckentlastung freigesetzt werden, ähnlich wie beim Öffnen einer Sektflasche. Sinkt der Druck, entstehen Blasen, die das Magma leichter machen, es nach oben treiben und es schließlich zerreißen.

Das konnte lange nicht erklären, weshalb Vulkane wie der Mount St. Helens oder der chilenische Quizapu trotz sehr gasreicher Schmelzen gelegentlich ruhige Lava fördern, statt schlagartig zu detonieren.

Die Forschenden verglichen nun die Situation im Vulkanschlot mit dem Rühren in einem Glas Honig. Im Zentrum des Glases fließt der Honig schneller, am Rand bremst ihn die Reibung – die Masse wird dabei gedehnt und gestaucht. Ein ähnliches Muster findet sich im Magma: An den Schlotwänden ist der Fluss langsamer als im Inneren, was zu starken Scherkräften führt.

Die Scherung kann Gasblasen erzeugen, auch wenn der Druck konstant bleibt. Die entstehenden Blasen häufen sich in den Randbereichen, wo die Scherung am intensivsten ist. Bereits vorhandene Bläschen verstärken den Effekt zusätzlich.

„Wir konnten experimentell nachweisen, dass die durch Scherkräfte erzeugte Bewegung im Magma ausreicht, um Gasblasen zu bilden – selbst ohne Druckabfall. Je mehr Gas im Magma enthalten ist, desto weniger Scherkraft ist für die Blasenbildung und das Blasenwachstum erforderlich.“

– Olivier Bachmann, ETH-Professor für Vulkanologie und magmatische Petrologie

Bei gasarmem Magma kann starke Scherung genug Blasen erzeugen, um eine unerwartet explosive Eruption auszulösen. Umgekehrt aber können Scherkräfte in gasreichem Magma frühzeitig Entlüftungskanäle entstehen lassen, sodass ein eigentlich explosiver Vulkan überraschend ruhig bleibt.

Altes Rätsel im neuen Licht

Ein historisches Beispiel ist der Ausbruch des Mount St. Helens im Jahr 1980. Obwohl das Magma hoch explosiv war, begann der Ausbruch mit der Bildung eines langsamen Lavadoms. Die Scherkräfte im Schlot erzeugten zusätzliche Gasblasen, die zunächst eine Entlüftung ermöglichten. Erst ein massiver Erdrutsch öffnete den Schlot abrupt, der Druck fiel rapide ab – und der Vulkan explodierte.

Historische Aufnahme des Ausbruchs des Mount St. Helens in den USA am 18. Mai 1980.
Historische Aufnahme des Ausbruchs des Mount St. Helens in den USA am 18. Mai 1980. Bild: Public Domain

Die Studie deutet darauf hin, dass viele Vulkane mit zähflüssigem Magma ihren Gasvorrat schneller abbauen können, als man bisher angenommen hat.

Vom Labor in den Vulkanschlot

Um die Vorgänge sichtbar zu machen, hatten die Forschenden ein spezielles Labor­experiment entwickelt. Eine viskose Flüssigkeit, die geschmolzenem Gestein ähnelt, wurde mit Kohlendioxid gesättigt. Setzten die Forschenden die Flüssigkeit starker Scherung aus, entstanden plötzlich Gasblasen – und zwar ab einem klaren Schwellenwert. Je höher die ursprüngliche Gasübersättigung war, desto weniger Scherung benötigte es für neue Blasen.

Auch hier zeigte sich, dass bereits vorhandene Blasen die Entstehung weiterer fördern. In Kombination mit Computersimulationen der Magmaströmung konnte herausgefunden werden, dass vor allem an den Schlotwänden, wo Lava zähflüssig entlangschrammt, die Blasenproduktion durch Scherung besonders ausgeprägt ist.

Um zu besseren Vorhersagen über das Gefahrenpotenzial von Vulkanen zu gelangen, müssen wir unsere Vulkanmodelle aktualisieren und Scherkräfte berücksichtigen.

Die neue Studie liefert eine gute Grundlage, um aktive Vulkane besser einschätzen zu können – und erklärt erstmals schlüssig, warum manche von ihnen trotz explosivem Inneren nicht dramatisch ausbrechen.

Quellenhinweis:

Roche, O., Andanson, J., Dequidt, A., Huber, C., Bachmann, O., & Pinel, D. (2025): Shear-induced bubble nucleation in magmas. Science.