Rätsel um schwankenden Warmwasser-Einstrom in die Arktis scheint gelöst

Eine neue Studie des Alfred-Wegener-Instituts hilft dabei, Prognosen zum Schicksal des arktischen Meereises zu verbessern

Arktisches Meereis
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Im Wechselspiel der Wetterküche zwischen Azorenhoch und Islandtief wird maßgeblich bestimmt, wie viel warmes Wasser der Atlantik entlang der norwegischen Küste in die Arktis transportiert. Dieser Rhythmus kann aus dem Takt geraten, sei es kurz- oder auch langfristig.

Neue Studie liefert lange gesuchte Erklärung

Ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts - Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) um den Ozeanographen Finn Heukamp hat jetzt die Erklärung dafür gefunden: Aufgrund ungewöhnlicher Luftdruckverhältnisse über dem Nordatlantik geraten Tiefdruckgebiete aus ihrer üblichen Zugrichtung. Die bringt die Kopplung zwischen dem Azorenhoch, dem Islandtief und dem Wind an der norwegischen Küste durcheinander. Diese Erkenntnis ist wichtig, um Klimamodelle zu schärfen und das Schicksal des arktischen Meereises im Zuge des Klimawandels besser vorherzusagen.

Üblicherweise herrschen an der norwegischen Küste im Winter raue Verhältnisse. Der Wind bläst tage-, oder manchmal sogar wochenlang aus Richtung Südwest. Entlang der Küste schieben sich Tiefdruckgebiete. Diese Tiefs tragen viel Regen und Schnee mit sich. Ferner beeinflussen sie durch ihren Wind auch die Menge warmen Wassers, das der Atlantik aus südlichen Breiten bis in die Barentssee und die Arktis transportiert. Seit vielen Jahren sind Schwankungen dieses Warmwasserstroms bekannt.


Klimaforschende aus verschiedenen Instituten haben sich zum Ziel gesetzt, diese Schwankungen genau analysieren, um mit Computermodellen besser zu berechnen, wie sich die Ausdehnung des Meereises in der Arktis in den nächsten Jahrzehnten verändern könnte. Dies scheiterte bisher an dem Problem, dass man die Ursachen für Schwankungen der komplexen Luft- und Ozeanströmungen vor Norwegen und in der Barentssee nicht vollumfänglich verstanden hatte. Diese Voraussetzung ist aber die Grundlage, um Klimamodelle weiter zu verbessern.

Zeitweise Entkopplung des Systems

Das Forschungsteam um Finn Heukamp hat am 21. September im Fachmagazin Nature Communications, Earth & Environment das Ergebnis seiner Studie »Cyclones modulate the control of the North Atlantic Oscillation on transports into the Barents Sea« veröffentlicht. Er und seine Kolleginnen und Kollegen haben die Ozeanströmungen entlang der norwegischen Küste in die Bartenssee genau untersucht und dokumentiert. Schwerpunkt lag dabei auf der Luftdruckdifferenz zwischen dem Azorenhoch und dem Islandtief, der sogenannten Nordatlantischen Oszillation (NAO). Diese beeinflusst die Strömungen vor Norwegen?

Besonders die Frage, warum es mitunter auffällige Abweichungen von dem typischen Wechselspiel zwischen der NAO und den Wetterbedingungen gibt, war dabei von besonderem Interesse. Üblicherweise wird die Stärke der Winde und somit der Meeresströmung maßgeblich durch die Luftdruckdifferenz der NAO beeinflusst. Ist diese stark ausgeprägt, folgen starke Luftströmungen, die Tiefdruckgebiete über den Nordatlantik und an Norwegen vorbei nach Norden schieben. Lässt der Luftdruckunterschied nach, verlieren auch die Winde und Tiefs an Fahrt.

Bis zum Ende der 1990er Jahre galten die NAO, die Zugbahn der Tiefdruckgebiete und die Stärke der Ozeanströmungen vor Norwegen als eng miteinander verbunden. Bereits damals wurde jedoch schon eine Entkopplung von NAO und Ozeanströmungen in die Barentssee beobachtet. »Die ungewöhnliche Entkopplung trat in der Winterzeit gehäuft zwischen den Jahren 1995 und 2005 auf«, so Finn Heukamp. »Allerdings war die Ursache für diese Veränderungen unklar.«

Auf Basis eines mathematischen Ozeanmodells, das den arktischen Ozean in sehr hoher Auflösung simuliert, wurden die Wissenschaftler nun fündig.

Ganz offensichtlich liegt die Ursache in einer außergewöhnlichen Veränderung der Zugbahn von Tiefdruckgebieten. Die Forschenden des AWI stellten nun fest, dass der Strom der Tiefdruckgebiete durch starke stationäre Hochdruckgebiete, sogenannte atmosphärische Blockierungen, gestört wird. Diese sorgen dafür, dass die schnell ziehenden Tiefdruckgebiete aus ihrer normalen Zugbahn gelenkt werden. Damit werden auch auch die NAO und der Strom warmen Wassers, das nach Norden fließt, zeitweise voneinander entkoppelt.

Klimamodelle schärfen

Finn Heukamp dazu: »Wie häufig eine solche Situation auftritt, also ob sie beispielsweise regelmäßig … wiederkehrt, können wir derzeit noch nicht sagen, weil die Messdaten, mit denen wir unser Ozeanmodell abgleichen, nur etwa 40 Jahre weit zurückreichen« Dennoch seien seiner Meinung nach die aktuellen Ergebnisse für die Klimamodellierung zentral wichtig, denn »…globale Klimamodelle rechnen relativ großräumig.« Mit den aktuellen Ergebnissen aus der hoch aufgelösten Analyse für den Nordatlantik und die Arktis werde nun ein wichtiges Detail geliefert, um die Klimamodellierung für die Arktis noch genauer darzustellen.

Die Resultate zeigten auch, dass man künftig die NAO, die Tiefdruckgebiete über dem Atlantik und die Ozeanströmungen stärker zusammen betrachten müsse. Da sowohl der Transport von warmem Wasser als auch der Zug der Tiefs über dem Atlantik unser Wetter in den mittleren Breiten beeinflussen, seien die Ergebnisse zudem interessant, um die künftige Klima- und Wettersituation in Mitteleuropa besser einzuschätzen.

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