Geisterwellen: Kein Seemannsgarn mehr! 18 Jahre Daten entlarven die wahre Ursache der tödlichen Monsterwellen!
Von der Legende zur Gesetzmäßigkeit: Eine 18-jährige Studie enthüllt, wie scheinbar unberechenbare Geisterwellen durch ein überraschendes Muster natürlicher Wellenüberlagerungen entstehen – und damit das Meeresrätsel endlich löst.

Rogue Waves, auch als Geisterwellen bekannt, waren lange Zeit ein mysteriöses Phänomen, das sowohl Seeleute als auch Wissenschaftler gleichermaßen faszinierte und zugleich beunruhigte.
Diese gigantischen Wellen, die plötzlich mitten auf dem offenen Meer auftauchen und oft mehr als doppelt so hoch sind wie die umliegenden Wellen, stellten ein Rätsel dar, das sich nur schwer in naturwissenschaftliche Modelle fassen ließ.
Eine nun veröffentlichte Studie, die auf einer 18-jährigen Datenreihe basiert, bringt Klarheit und zeigt, dass diese scheinbaren Anomalien keineswegs unerklärliche Ausreißer sind, sondern sich aus bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten ableiten lassen.
18 Jahre Daten – das umfassendste Wellenarchiv der Welt
Zwischen 2003 und 2020 wurden an der Ekofisk-Plattform im zentralen Nordseegebiet fast 27.500 halbstündige Messungen des Meeresspiegels aufgezeichnet.
Diese Datensätze erfassen nicht nur normale Wellenverhältnisse, sondern auch extreme Ereignisse, wie die berüchtigte Andrea-Welle von 2007. Mit solch einem umfangreichen Archiv konnte das Forscherteam unter Leitung von Knobler, Malila und Tayfun die Entstehung und Struktur der Geisterwellen systematisch untersuchen.
Wenn Statistik ins Wanken gerät: Schiefe und Kurtosis
Im Mittelpunkt der Analyse standen die statistischen Kennzahlen Schiefe und Kurtosis, die das Auftreten extremer Ausschläge in den Wellenhöhen beschreiben. Die Studie ging über herkömmliche Berechnungen hinaus und führte erstmals eine präzise Fehlerabschätzung ein, um die Unsicherheiten bei der Ermittlung dieser Größen zu quantifizieren.
Diese Innovation ermöglicht eine verlässlichere Charakterisierung, wann und wie sehr die Wellen vom Mittelwert abweichen und damit das Auftreten von Monsterwellen besser vorherzusagen ist.
Alte Theorien unter Druck: Grenzen der Modulationalen Instabilität
Traditionell wurde angenommen, dass modulare Instabilität – ein komplexes mathematisches Phänomen, das in engen Kanälen beobachtet werden kann – auch im offenen Meer zur Entstehung von Riesenwellen führt.
Dieses Modell beschreibt, wie Wellen in einem engen „Korridor“ zusammenrücken und sich gegenseitig verstärken können.
Die nun vorliegenden Daten zeigen jedoch deutlich, dass diese Theorie für die frei fließenden Wellen des offenen Nordmeers nicht ausreicht und die tatsächliche Entstehung von Geisterwellen nicht adäquat beschreibt.
Die wahre Ursache: Konstruktive Interferenz als Auslöser
Stattdessen offenbaren die Daten, dass Geisterwellen durch konstruktive Interferenz entstehen – ein Effekt, bei dem sich mehrere kleinere Wellen gleichzeitig so überlagern, dass ihre Spitzen sich addieren und eine außergewöhnlich hohe Welle bilden.
Die natürliche Asymmetrie der Meereswellen, deren Kämme steiler als die Täler sind, begünstigt diese Überlagerung zusätzlich.
Das Phänomen erklärt, warum die Riesenwellen so plötzlich auftauchen und kurz darauf wieder verschwinden.
Wellen mit Handschrift: Das quasi-deterministische Muster
Die Studie stützt sich dabei auf die Theorie der Quasi-Determinismus von Paolo Boccotti, die beschreibt, wie solche Überlagerungen in Zeit und Raum erkennbaren Mustern folgen.
Diese Muster erlauben es, die Entstehung der Geisterwellen zu rekonstruieren und deren „Fingerabdruck“ in der Wellenlandschaft zu identifizieren. Ein Beispiel ist die dokumentierte 17 Meter hohe Welle im November 2023, deren Analyse das Modell bestätigte.

Statistische Präzision: Wie verlässlich sind Extremwellenprognosen?
Die sorgfältige Fehlerbetrachtung in der Studie ist nicht nur theoretisch interessant, sondern hat auch praktische Bedeutung. Sie zeigt, dass Extremereignisse zwar selten und zufallsbehaftet sind, aber innerhalb eines prognostizierbaren Rahmens auftreten.
Dies verbessert die Fähigkeit, Gefahren für Schiffe und Offshore-Strukturen einzuschätzen und damit Menschenleben und Ressourcen besser zu schützen.
Quelle
Knobler, S., Malila, M.P., Tayfun, M.A. et al. Effects of bound-wave asymmetry on North Sea rogue waves. Scientific Reports 15, 20609 (2025). https://doi.org/10.1038/s41598-025-07156-6