Älteste Schmuckwerkstatt Europas entdeckt: Sahen so die Anfänge menschlicher Symbolik aus?

Nahe der westfranzösischen Gemeinde Saint-Césaire haben Archäologen eine sensationelle Entdeckung gemacht: In der Stätte La Roche-à-Pierrot fanden sie die Überreste einer über 42.000 Jahre alten Werkstatt zur Herstellung von Muschelschmuck.

Thanatocenosis am Strand von Men-Du (Bretagne, Frankreich) (links), Referenzsammlung von Littorina obtusata, gesammelt im Oktober 2016 (Mitte), und Farbvariabilität von L. obtusata (rechts).
Thanatocenosis am Strand von Men-Du (Bretagne, Frankreich) (links), Referenzsammlung von Littorina obtusata, gesammelt im Oktober 2016 (Mitte), und Farbvariabilität von L. obtusata (rechts). Bild: Bachellerie et al., 2025

In der Stätte La Roche-à-Pierrot haben Archäologen eine über 42.000 Jahre alte Werkstatt entdeckt, in welcher in großem Maßstab Muschelperlen hergestellt wurden. Bei dem Fund handelt es sich um die älteste bekannte Schmuckwerkstatt Europas – und möglicherweise um einen Wendepunkt der menschlichen Kultur und Symbolik.

Die Funde deuten darauf hin, dass hier bereits in der Altsteinzeit Schmuckstücke aus den Schalen der Meeresschnecke Littorina obtusata gefertigt und anschließend mit roten und gelben Pigmenten bemalt wurden.

Die Menschen dieser Zeit waren offenbar geschickte Handwerker und Künstler, die offenbar den Wunsch verspürten, sich zu schmücken und ihre Identität auszudrücken. Die Ergebnisse wurden in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.

Zeit des Übergangs

Die archäologische Stätte La Roche-à-Pierrot ist seit Jahrzehnten bekannt. Sie wurde bereits 1976 entdeckt und gilt als wichtigster Ort, um den Übergang zwischen Neandertalern und Homo sapiens zu erforschen. Die Region war über mindestens 30.000 Jahre hinweg bewohnt, nämlich von Jägern, die Steinwerkzeuge herstellten, Tiere jagten und sich schrittweise neuen Lebensformen anpassten.

Besonders beeindruckend ist die Châtelperronien-Kultur, die hier vor etwa 55.000 bis 42.000 Jahren existierte. Die Kultur gilt als Mischform zwischen Neandertalern und den frühen Homo sapiens, die damals aus Afrika nach Europa vordrangen.

Karte der Rohstoffkategorien, die für persönlichen Schmuck verwendet werden.
Karte der Rohstoffkategorien, die für persönlichen Schmuck verwendet werden. Bild: Bachellerie et al., 2025

Wer genau die Werkzeuge und Schmuckstücke dieser Epoche anfertigte, ist bis heute umstritten, doch klar ist, dass sich hier kulturelle Innovationen im dynamischen Austausch entwickelten.

Beweise für spezialisierte Handwerkskunst

Das Team um den Archäologen François Bachellerie vom französischen Forschungszentrum Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) fand vor Ort neben perforierten Muschelschalen auch unversehrte Exemplare, Steinwerkzeuge zur Bearbeitung sowie Farbpigmente.

Mithilfe mikroskopischer Analysen konnte nachgewiesen werden, dass die Bohrungen mit gezielten Druckbewegungen erzeugt wurden, also mit Werkzeugen, die eigens dazu entwickelt worden waren.

Damit lässt sich die Stätte eindeutig als Werkstatt identifizieren. Laut den Forschenden handelt es sich um die erste bekannte Produktionsstätte für symbolischen Schmuck in Westeuropa – und möglicherweise um die früheste Form von serieller Herstellung der Altsteinzeit.

Handel und Mobilität der Altsteinzeit

Bemerkenswert ist auch der Ursprung der Rohstoffe. Die verwendeten Muscheln stammen von der Atlantikküste der Bretagne, rund 100 Kilometer vom Fundort entfernt. Die mineralischen Pigmente wiederum kamen aus einer über 40 Kilometer entfernten Region.

Material aus Schichten, aus denen die Artefakte aus dem Châtelperronien stammen.
Material aus Schichten, aus denen die Artefakte aus dem Châtelperronien stammen. Bild: Bachellerie et al., 2025

Die weiten Entfernungen belegen, dass die Menschen der Châtelperronien-Kultur bereits Fernhandel oder Austauschbeziehungen pflegten. Sie bewegten sich über große Distanzen, sammelten gezielt Rohstoffe und tauschten sie möglicherweise gegen andere Güter ein. Das zeigt, dass Mobilität und Vernetzung schon in der Altsteinzeit Teil des menschlichen Lebens waren.

Symbolik und Identität

Bisher waren von den Neandertalern nur einfache Schmuckobjekte aus Tierknochen oder Zähnen bekannt. Die Herstellung bemalter Muschelperlen stellt daher einen kulturellen Fortschritt dar.

Die bemalten und perforierten Muscheln belegen, dass Menschen bereits vor 42.000 Jahren begannen, Schmuck als Ausdruck persönlicher Identität zu nutzen.

Das Bedürfnis nach Selbstdarstellung und sozialer Symbolik reicht also weiter zurück, als lange angenommen, so die Forschenden. Die Schmuckstücke belegen zudem, dass die Ankunft des Homo sapiens in Europa eine Welle technischer und kultureller Innovationen auslöste.

Mikroskopische Ansichten der an L. obtusata beobachteten Veränderungen, hier: durch Druck entstandene Perforationen.
Mikroskopische Ansichten der an L. obtusata beobachteten Veränderungen, hier: durch Druck entstandene Perforationen. Bild: Bachellerie et al., 2025

Ob die Châtelperronien-Kultur mehr von frühen Homo-sapiens-Gruppen geprägt war oder von Neandertalern, die deren Techniken übernahmen, bleibt offen. Sicher ist jedoch, dass sich beide Gruppen in der Übergangszeit begegneten und voneinander lernten.

Fenster in die Vergangenheit

Neben den Muschelperlen entdeckten die Forschenden auch typische Neandertaler-Werkzeuge und Tierknochen von Bisons und Pferden. Das unterstreicht, dass die Lebensweise der damaligen Bewohner komplex war.

Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die kulturellen Entwicklungen im Europa der Altsteinzeit keineswegs einheitlich verliefen. Vielmehr war die Epoche von regionalen Innovationen sowie von Austausch und Anpassung geprägt.

Die Entdeckung von La Roche-à-Pierrot liefert Beweise für die älteste Schmuckproduktion Europas, und darüber hinaus auch für die frühen Anfänge menschlicher Kreativität und Symbolkraft, die bis heute das menschliche Wesen ausmachen.

Quellenhinweis:

Bachellerie, F., Gravina, B., Rigaud, S., Dayet, L., Thomas, M., Lebreton, L., Morin, E., Lesage, C., Falguères, C., Bard, E., Bahain, J., Baillet, M., Beauval, C., Bordes, J., Culioli, G., Devièse, T., Flas, D., Garbé, L., Guérin, G., [...] & Crevecoeur, I. (2025): Châtelperronian cultural diversity at its western limits: Shell beads and pigments from La Roche-à-Pierrot, Saint-Césaire. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) U.S.A., 122, 39, e2508014122.