Wie haben Ökosysteme 60 Millionen Jahre Artenwandel überstanden – und warum droht heute ein Kipppunkt?

Seit Beginn an schafft es die Natur, stabile Ökosysteme auszubilden. Doch was geschieht, wenn große Lebewesen wie das Mammut aussterben? Forscher haben sich genau das gefragt und untersucht, wodurch natürliche Systeme widerstandsfähig bleiben.

Afrikanischer Büffel (Syncerus caffer) in Tansania.
Afrikanischer Büffel (Syncerus caffer) in Tansania. Bild: Juan López Cantalapiedra

Seit Millionen von Jahren bestimmen große Pflanzenfresser wie Elefanten, Nashörner und ihre ausgestorbenen Vorfahren die Landschaften unseres Planeten. Dabei übernehmen sie zentrale ökologische Funktionen: Sie gestalten Lebensräume, beeinflussen Vegetationsstrukturen und erhalten natürliche Kreisläufe aufrecht.

„Wir stellten fest, dass diese Ökosysteme über lange Zeiträume erstaunlich stabil geblieben sind, obwohl Arten dazu kamen und andere ausstarben.“

– Dr. Fernando Blanco, Erstautor der Studie und Gastwissenschaftler am Museum für Naturkunde Berlin

Doch was geschieht, wenn diese Schlüsselfiguren der Natur verschwinden? Eine neue Studie, die unter der Leitung der Universität Göteborg und in Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen und spanischen Forschungseinrichtungen entstanden ist, untersucht nun, wie Ökosysteme in den vergangenen 60 Millionen Jahren trotz massiver Artenverluste so widerstandsfähig bleiben konnten. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Globales Netzwerk ökologischer Rollenverteilung unter großen Pflanzenfressern.
Globales Netzwerk ökologischer Rollenverteilung unter großen Pflanzenfressern. Bild: Blanco et al., 2025

Die Forschenden analysierten Fossildaten von über 3000 Arten großer Pflanzenfresser, darunter urzeitliche Riesen wie Mastodonten, Riesenhirsche oder frühe Nashornarten.

Zwei globale Neuordnungen

In den 60 Millionen Jahren gab es jedoch zwei Zeitpunkte, an denen die Belastungen für die Ökosysteme so gravierend wurden, sodass sich die Zusammensetzung global und grundlegend veränderte.

Der erste Wandel ereignete sich vor rund 21 Millionen Jahren. Die Schließung des Tethys-Meeres führte zur Bildung einer Landbrücke zwischen Afrika und Eurasien, was enorme ökologische Konsequenzen hatte. Dadurch konnten große Pflanzenfresser, etwa die Vorfahren moderner Elefanten, Schweine und Hirsche, neue Lebensräume besiedeln und bestehende Gleichgewichte verschieben.

Eine zweite tiefgreifende Veränderung setzte etwa zehn Millionen Jahre später ein. Eine globale Abkühlung sowie die großflächige Ausbreitung von Graslandschaften verdrängten Wälder und führten zum Aufstieg spezialisierter Grasfresser, während waldbewohnende Arten zurückgingen oder ausstarben.

Strukturen bleiben erhalten

Trotz dieser Umbrüche blieb ein zentrales Merkmal konstant: die ökologische Struktur der Lebensgemeinschaften. Auch das Aussterben vieler Großtiere in den letzten 129.000 Jahren, wie etwa Mammuts und riesige Nashornarten, veränderte nicht das grundlegende funktionelle Gerüst der Ökosysteme.

„Es ist, als würde eine Fußballmannschaft während eines Spiels die Spieler auswechseln, ohne dass sich die Aufstellung wesentlich verändert. Es kamen neue Arten ins Spiel und die Gemeinschaften veränderten sich, aber die neuen Spieler erfüllten ähnliche ökologische Aufgaben – dadurch blieb die Struktur insgesamt stabil.“

– Dr. Ignacio A. Lazagabaster vom spanischen CENIEH

Die ökologische Resilienz war dabei bemerkenswert. Selbst über klimatische Extreme wie Eiszeiten hinweg blieben die Systeme funktionsfähig. Dennoch warnt das Forschungsteam, die Stabilität nicht als selbstverständlich zu betrachten.

Gnu (Connochaetes taurinus) in der Savanne Tansanias.
Gnu (Connochaetes taurinus) in der Savanne Tansanias. Bild: Juan López Cantalapiedra

„Unsere Ergebnisse zeigen, wie enorm anpassungsfähig Ökosysteme sein können“, sagt Dr. Juan L. Cantalapiedra vom Museo Nacional de Ciencias Naturales in Madrid, Gastwissenschaftler in Berlin. Dennoch gäbe es Grenzen.

Wenn wir weiterhin so massiv wie in der Gegenwart Arten und ihre ökologischen Rollen verlieren, könnten wir bald einen dritten globalen Kipppunkt erreichen – und wir Menschen tragen dazu aktiv bei.

Die Studie erlaubt somit einen tieferen Einblick in die Geschichte unserer Ökosysteme, gleichzeitig appelliert sie an die Gegenwart: Denn nur wenn die funktionelle Vielfalt erhalten bleibt, können auch die Strukturen bestehen, die das Leben auf der Erde ermöglichen.

Quellenhinweis:

Blanco, F., Lazagabaster, I. A., Sanisidro, Ó., et al. (2025): Two major ecological shifts shaped 60 million years of ungulate faunal evolution. Nature Communications, 16, 4648.