Reifenabrieb im Rhein: Unsichtbare Gefahr durch Mikroplastik nimmt zu – ökologisches Gleichgewicht bedroht
Forscher haben untersucht, wie sich Mikroplastik auf den Rhein auswirkt. Dabei stellten sie fest, dass manche Kleinstlebewesen zunehmen, besonders diejenigen Arten, die sich an die Chemikalien aus Reifenabrieb angepasst haben.

Mit jedem gefahrenen Kilometer lösen sich winzige Reifenpartikel, die sich in ihrer Gesamtheit verheerend auf die Umwelt auswirken. Reifenabrieb zählt sogar zu den größten Quellen für Mikroplastik in Flüssen und Seen. Eine aktuelle Untersuchung zeigt nun, wie stark diese Partikel das mikrobielle Leben im Rhein verändern.
Forschende der Universitäten Duisburg-Essen und Köln haben über vier Wochen verschiedene Typen von Reifenabrieb der Flussströmung ausgesetzt, darunter Abrieb von Pkw- und Lkw-Reifen, von neuen und gebrauchten Reifen oder unterschiedliche Partikelgrößen. Anschließend haben sie die bakteriellen Biofilme analysiert, die sich auf den Oberflächen der Reifenpartikel gebildet hatten.
Das Ergebnis war, dass Reifenpartikel das mikrobielle Gefüge deutlich verändern. „Wir konnten zeigen, dass sich bestimmte Bakterienarten besonders gern auf Reifenabrieb ansiedeln, während die allgemeine Vielfalt der Mikroorganismen darauf abnimmt“, sagt Studienleiterin Dana Bludau, Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jens Boenigk an der Universität Duisburg-Essen.
Die Erkenntnis ist wichtig, denn Mikroorganismen im Wasser bilden die Grundlage für die ökologischen Kreisläufe: Sie zersetzen organisches Material, recyceln Nährstoffe und bilden die Basis für höhere Lebensformen. „Wenn Reifenabrieb die Zusammensetzung dieser Biofilme verändert, betrifft das daher das gesamte Flusssystem“, so Bludau.
Unterschätzte Plastikquelle
Schätzungen zufolge gelangen allein in Deutschland jährlich rund 11.000 Tonnen Reifenabrieb in Flüsse und Oberflächengewässer. In der gesamten EU sind es fast zwei Millionen Tonnen pro Jahr. Ein erheblicher Teil lagert sich im Sediment ab, dort, wo sich auch Mikroben ansiedeln und wo die ökologische Basis der Flüsse liegt.

Trotz des Ausmaßes wird der Belastung durch Reifenabrieb bisher eher wenig Beachtung geschenkt. Auch wenn Plastiktüten, Strohhalme oder Mikroplastik in Kosmetika schon länger als Umweltproblem diskutiert werden, wird der größte Verursacher, der Straßenverkehr, weitgehend ignoriert.
Die jeweiligen Teilchen unterscheiden sich untereinander erheblich: Größe, Materialzusammensetzung und Alter der Reifen wirken sich auf ihre ökologischen Eigenschaften aus. Besonders stark belastet sind ältere Partikel, deren Oberfläche verändert ist und giftige Zusatzstoffe freisetzt. In Reifen finden sich neben Kautschuk auch Füllstoffe wie Ruß, Silica, Zinkoxid, Schwefel und verschiedene Weichmacher – viele der Chemikalien sind für Wasserorganismen toxisch.
Selektive Lebensräume für Bakterien
Die Untersuchung zeigt, dass Reifenabrieb den Rhein physisch belastet, was gleichzeitig auch die Zusammensetzung an Individuen im Lebensraum bestimmt. Derweilen die Artenvielfalt insgesamt abnimmt, treten bestimmte Bakterienarten vermehrt auf, etwa Aquabacterium oder Ketobacter, die offenbar an die besonderen Stoffe aus Reifen angepasst sind.

Die Forschenden sind alarmiert, denn wenn bestimmte Arten dominieren, geraten natürliche Gleichgewichte aus dem Lot. Das kann Nahrungsketten und sogar den Stoffwechsel des gesamten Ökosystems verändern. Zudem weisen andere Studien darauf hin, dass Biofilme auf Mikroplastikpartikeln auch krankheitserregende Bakterien begünstigen und Resistenzen fördern.
Die Arbeit ergänzt Messungen des Landesamts für Natur, Umwelt und Klima NRW, das kürzlich hohe Konzentrationen von primärem Mikroplastik im Rhein nachgewiesen hatte – also Partikel, die gezielt in Industrie oder Kosmetik hergestellt werden. Derweilen die Bestandsdaten vor allem Mengen und Quellen widerspiegeln, zeigt die neue Studie erstmals, wie Reifenabrieb das mikrobielle Leben im Fluss verändert. Wie genau sich die Veränderungen langfristig auf Wasserqualität und Artenvielfalt im Rhein auswirken, bleibt hingegen noch zu erforschen.
Quellenhinweis:
Bludau, D., Volkenandt, S., Wagenhofer, J., Nitsche, F., & Boenigk, J. (2025): Tire wear particles drive size-dependent loss of freshwater bacterial biofilm diversity. Environmental Pollution, 384, 127004.