Mikroskopische Organismen, die den Ozean-Kohlenstoff steuern – das fehlende Puzzleteil in den Klimamodellen
Winzige Kalkbildner wie Kokkolithophoren, Foraminiferen und Pteropoden regulieren den Ozean-Kohlenstoffkreislauf. Doch Klimamodelle blenden ihre Rolle weitgehend aus – mit Folgen für zukünftige CO₂-Prognosen.

Sie sind kaum größer als ein Staubkorn und doch prägen sie den globalen Kohlenstoffkreislauf: kalkbildende Planktonorganismen. Eine neue Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Science (Ziveri et al., 2025), zeigt, dass diese winzigen Lebewesen entscheidend dafür sind, wie viel Kohlendioxid die Ozeane aufnehmen und wieder abgeben – und dass ihr Einfluss auf das Klima bislang massiv unterschätzt wird.
Die internationale Untersuchung wurde vom Institute of Environmental Science and Technology (ICTA-UAB) an der Autonomen Universität Barcelona geleitet, unter Federführung der ICREA-Forscherin Prof. Patrizia Ziveri. Das Team vereinte Expertinnen und Experten aus mehreren Ländern, um zu verstehen, wie die kleinsten Kalkbildner die Chemie und das Klima der Erde steuern.
Die stillen Baumeister des Ozeans
Im Mittelpunkt stehen drei Gruppen: Kokkolithophoren, Foraminiferen und Pteropoden. Diese Organismen bilden Kalkschalen aus Kalziumkarbonat (CaCO₃) – ein Prozess, der als Biomineralisierung bezeichnet wird. Beim Absterben sinken ihre Schalen in tiefere Wasserschichten und transportieren so Kohlenstoff in die Tiefe.
Doch wie die aktuelle Studie zeigt, ist dieser Prozess komplexer und dynamischer, als bisher angenommen.
Ein empfindliches chemisches Gleichgewicht
Besonders die Kokkolithophoren, mikroskopisch kleine Algen mit filigranen Kalkplatten, spielen eine doppelte Rolle: Einerseits entziehen sie durch Photosynthese dem Wasser CO₂. Andererseits setzen sie bei der Kalkbildung wieder CO₂ frei – ein chemisches Paradoxon, das die Netto-Bilanz ihres Einflusses schwer fassbar macht. Zudem sind sie äußerst empfindlich gegenüber Ozeanversauerung, da die sinkende pH-Stabilität ihre Fähigkeit zur Kalkbildung beeinträchtigt.
Die Studie hebt hervor, dass Foraminiferen und Pteropoden im Gegensatz zu Kokkolithophoren spezialisierte Mechanismen zur pH-Regulation besitzen. Diese Systeme erlauben es ihnen, die bei der Kalkbildung entstehende Säure besser aus der Zelle zu entfernen. Dadurch sind sie teils widerstandsfähiger gegenüber Versauerung, reagieren jedoch empfindlicher auf andere Stressfaktoren wie Sauerstoffmangel und Erwärmung. Diese physiologischen Unterschiede erklären, warum die einzelnen Gruppen unterschiedlich auf Klimaveränderungen reagieren und unterschiedliche ökologische Nischen besetzen.
Wenn Kalk sich schneller auflöst, als er entsteht
Ziveri und ihr Team zeigen, dass ein erheblicher Teil des von diesen Organismen gebildeten Kalziumkarbonats gar nicht bis zum Meeresboden gelangt, sondern sich bereits in der oberen Wassersäule wieder auflöst. Verantwortlich sind biologische Prozesse wie Räuber-Beute-Interaktionen, Partikelzersetzung und mikrobielle Atmung. Dieser „flache“ Auflösungsprozess wurde in bisherigen Klimamodellen kaum berücksichtigt – hat jedoch große Auswirkungen auf die globale Alkalinitäts- und Kohlenstoffbilanz.
Klimamodelle brauchen mehr biologische Realität
Die Autoren betonen, dass keines der gängigen Klimamodelle (z. B. CMIP6) diese Unterschiede bisher realistisch abbildet. Der CaCO₃-Zyklus wird meist als einheitlicher Prozess dargestellt, obwohl sich die Beiträge und Reaktionsmuster der einzelnen Gruppen stark unterscheiden. Eine präzisere, organismenbasierte Modellierung könnte nicht nur unser Verständnis der heutigen Meereschemie verbessern, sondern auch helfen, zukünftige CO₂-Szenarien und Klimaentwicklungen genauer vorherzusagen.
Calcifying planktonic organismscoccolithophores, foraminifers, and shelled pteropodsare the linchpins of the marine carbonate cycle and key regulators of atmospheric carbon dioxide.
— Science Magazine (@ScienceMagazine) October 23, 2025
In a new #ScienceReview, researchers analyze which of their functional traits make them so pic.twitter.com/3yXokL8hGn
Mikroskopische Schlüsselspieler im globalen System
Kalkbildende Planktonarten sind mehr als nur passive Teilchen im Meer – sie sind aktive Regulatoren des globalen Klimas. Ihre mikroskopischen Schalen erzählen Geschichten von chemischen Gleichgewichten, biologischer Vielfalt und den empfindlichen Verflechtungen zwischen Ozean und Atmosphäre. Wer verstehen will, wie sich das Klima der Zukunft entwickelt, muss auch die Geheimnisse dieser kleinsten Akteure entschlüsseln.
Quelle
Ziveri, P., Langer, G., Chaabane, S., de Vries, J., Gray, W. R., Keul, N., Hatton, I. A., Manno, C., Norris, R., Mortyn, P. G., et al. (2025). Calcifying plankton: From biomineralization to global change. Science, Vol. 390, Issue 6771