Die geheimen Lieder der Arktis: Forscher entschlüsseln das Winter-Konzert der Grönlandwale

Unter dem arktischen Eis erklingt ein verborgenes Konzert: Grönlandwale singen bis zu 24 Stunden am Tag. Was Forscher mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz entschlüsselt haben.

Ein Wal vor der Küste Grönlands (Foto: Adobe Stock)
Ein Wal vor der Küste Grönlands (Foto: Adobe Stock)

Wenn wir Menschen nur still genug werden, hört man sie: Diese fast magischen Schwingungen aus einer anderen Welt. Tief unter dem arktischen Eis, dort, wo das Licht kaum durchdringt und die Kälte alles gefrieren lässt, heben Grönlandwale ihre Stimmen an. Ein Chor, der Jahrtausende alt ist und bis heute voller Geheimnisse steckt. In diesem Jahr hat ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) nun eines dieser Rätsel gelüftet - und das mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz. Und die Ergebnisse sind so spektakulär wie berührend: Die seltenen Meeressäuger besitzen ein geradezu musikalisches Repertoire, das selbst erfahrene Forscher staunen lässt.

Auf den Spuren der Wale - dank künstlicher Intelligenz

Um dem verborgenen Leben der Wale näherzukommen, installierte das Team Unterwassermikrofone an zwei Orten der Framstraße: Einmal in einem fast ganzjährig zugefrorenes Gebiet nordwestlich von Spitzbergen und dann in einem offeneren Gebiet, das weiter südlich liegt. Über Jahre sammelten die Geräte ununterbrochen Klangspuren. Unzählige Tonwellen, die das Leben in der Tiefe erzählen, aber dabei so komplex sind, dass ein Mensch sie kaum vollständig hätte analysieren können. Deshalb kam KI ins Spiel: Zwei speziell trainierte Modelle durchsuchten Spektrogramme nach typischen Lauten der Grönlandwale. Keine romantische Walbeobachtung, sondern moderne High-Tech-Forschung, deren Ergebnisse für Staunen sorgt.



Komplexe Gesänge und zwölf verschiedene "Songs"

Zwischen Herbst und Frühling waren die Tiere in beiden Regionen regelmäßig zu hören. Doch besonders im eisverhangenen Norden wurden sie zu wahren Dauer-Sängern: Von Oktober bis April klangen dort fast ununterbrochen Walgesänge – teilweise 24 Stunden am Tag. Ein Konzert ohne Pause, ein Rhythmus jenseits unserer Zeit.In diesen Aufnahmen entdeckten die Forscher komplexe Gesänge, die sie in zwölf verschiedene "Songs" einteilten. Eine Art Wal-Playlist, die mit dem Wechsel der Jahreszeiten variierte. Ab Herbst wurde das Repertoire breiter und erreichte im Februar seinen strahlenden Höhepunkt. Allein in diesem Monat dokumentierten die Wissenschaftler bis zu acht unterschiedliche Wal-Songs.

Welches Ergebnis das Institut aus der Studie zieht

Die Forscher glauben, dass die Intensität des Gesangs eng mit der Fortpflanzungszeit der Tiere zusammenhängt. Wenn sich das Eis zurückzieht, wandert die Eiskante näher an die Mikrofone. Genau dann wird es besonders melodisch. Dafür gibt es zwei mögliche Gründe: Zum Einen ziehen mehr Wale in die Region, weil sie ein wichtiges Paarungsgebiet ist, zum Anderen erweitern einige Tiere bewusst ihr Repertoire. Ein arktischer Balzgesang, tief und voller Sehnsucht. Welchen Hinweis das AWI aus diesem Ergebnis zieht? Dass die Region nordwestlich von Spitzbergen im Winter eine Schlüsselrolle für die Population spielt.