„Es wird anomale Temperaturen geben“ – Meteorologin Kathy Schrey erklärt, warum der November plötzlich Frühling spielt

Ungewöhnliche Wärme Anfang November lässt Deutschland nach Frühling riechen: Sonne, milde Temperaturen und kräftige Rottöne auf Wetterkarten zeigen, wie der Herbst sich derzeit fast wie ein April anfühlt.

2m Temperatur- Anomalien, Deutschland, Donnerstag Nachmittag
2m Temperatur- Anomalien in Deutschland am Donnerstag Nachmittag.

Deutschland unterliegt einem atmosphärischen Einfluss Anfang November, der sich anfühlt wie Wetter im April. Statt Nebel, Frost und grauer Melancholie bringt der Herbst Sonne, Wärme und fast schon frühsommerliche Luft. Die thermischen Wetterkarten leuchten in Orangerot und Rot – Farben, die eigentlich im Sommer zu Hause sind. Insbesondere die Darstellungen der Anomalien zeigen tiefrote Töne.

Wir sehen in den aktuellen Modellläufen Temperaturabweichungen, die für diese Jahreszeit außergewöhnlich sind“, sagt Meteorologin Kathy Schrey. „Das europäische Modell zeigt weite Teile Mitteleuropas in warmen Farbtönen – ein klares Signal für anomale Werte.“

Ein Hoch als Wärmepumpe

Die Ursache für die ungewohnte Milde liegt in der Großwetterlage. Ein stabiles Hochdruckgebiet hat sich über Südosteuropa festgesetzt. Auf seiner Westseite strömt milde Luft aus dem Mittelmeerraum und Nordafrika nach Norden – direkt über Deutschland hinweg. „Das ist im Prinzip eine natürliche Wärmepumpe“, erklärt Schrey. „Die Luft legt weite Strecken über Land und das das noch überdurchschnittlich zu warme Meer zurück, nimmt Feuchtigkeit und Wärme auf, sinkt dann über Mitteleuropa ab und erwärmt sich zusätzlich durch Kompression.“

Dieser Prozess sorgt dafür, dass sich Wolken auflösen und sich die Atmosphäre aufheizt. In rund 1.500 Metern Höhe liegen die Temperaturen am Donnertag Nachmittag bei bis zu 16 Grad Celsius – ein Niveau, das normalerweise erst im Frühling erreicht wird. Am Boden bedeutet das vielerorts Werte zwischen 15 und 20 Grad, besonders dort, wo der Nebel früh verschwindet und die Sonne freie Bahn hat.

Wetter zum Verweilen – aber kein Zufall

Während Spaziergänger die milde Luft genießen, sehen Meteorologinnen wie Schrey auch die Kehrseite. „Diese blockierenden Hochdrucklagen treten in den letzten Jahren häufiger und stabiler auf“, sagt sie. „Sie verhindern, dass Tiefdruckgebiete vom Atlantik her für den typischen Wetterwechsel sorgen. Dadurch können sich Wärmephasen im Herbst länger halten als früher.“ Und das beeinträchtigt erheblich den natürlichen Kreislauf in unserem Ökosystem.

Im Süden Deutschlands könnten die Nächte dennoch frisch ausfallen. In klaren Nächten bildet sich Bodennebel, und in geschützten Tälern ist leichter Frost möglich. Im Nebel halten sich noch bis in die Tagehinein die kalten Temeperaturen. Und bei aufgeklartem Himmel gibt es dann Strahlungskälte, die zu frostigen nächtlichen Abkühlungen sorgt.

Ganz anders im Norden, wo Wolken und ein schwacher Wind aus Südwest die Wärme festhalten. „Das ist typisch für solche Lagen: große Temperaturunterschiede zwischen klaren und bewölkten Regionen“, erläutert Schrey.

Ein farbiger Fingerzeig

Dass die Wetterkarten der Anomalien im Vergleich zum Klimamittel in diesen Tagen in kräftigem Rot leuchten, sei kein Zufall, betont die Meteorologin. „Diese Farben sind kein Alarm, sondern zeigen Temperaturanomalien an – also Werte, die deutlich über dem jahreszeitlichen Mittel liegen.“ In weiten Teilen Deutschlands beträgt die Abweichung am Donnertag bis zu zwölf Grad.

Ob das noch Wetter oder schon ein Ausdruck des Klimawandels ist, lässt sich an einzelnen Ereignissen nicht festmachen. Doch Schrey sieht ein Muster: „Der November war früher eine Übergangszeit mit ersten Frostnächten. Inzwischen erleben wir häufiger stabile, milde Phasen, die sich wie ein zweiter Oktober anfühlen.“

Temperaturen in 850 hPa, Deutschland, Donnerstag, Nachmittag
Temperaturen in 850 hPa über Deutschland am Donnerstag Nachmittag.

Zwischen Genuss und Nachdenklichkeit

Für viele mag die Wärme willkommen sein. Doch für die Meteorologin ist es auch ein Zeichen der Veränderung. „Anomal heißt wörtlich: abweichend. Und genau das passiert gerade – das Wetter weicht immer öfter von dem ab, was einmal typisch war.“