China: Kann Klimaschutz staatlich befohlen werden?

China ist der Hauptemittent von Kohlendioxid (CO2) und gleichzeitig Weltmeister bei Zubau von regenerativer Energie. Die Staatsführung bekennt sich zur grünen Transformation. Kann eine Diktatur mehr gegen den Klimawandel tun als die Demokratien der westlichen Welt?

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China - zwischen Expansion der Erneuerbaren und der Kohleverstromung

Die chinesischen Medien sind voller Nachrichten über eine staatliche verordnete Transformation des Landes. Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat dies zu einem der wichtigsten Ziele der chinesischen Volkswirtschaft erklärt. Der Staat fördert seinen Plan mit breiten Werbekampagnen und Parolen. Schafft China die Wende nicht nur über Werbung und reduziert seine Treibhausgasemissionen schnell und drastisch?

Autokratie oder Demokratie: wer kann es besser?

Sind autoritäre Staaten besser geeignet, um gegen die Klimakrise vorgehen als Demokratien? Einen guten Einblick bei der Beantwortung dieser Frage bietet eine Dokumentation des multinationalen Politikentwicklung Dialog der KAS.

Klimaschutzmaßnahmen betreffen Entscheidungen, die oft unpopulär sind, weil sie in das Alltagsleben eingreifen und die Menschen meist finanziell und emotionell belasten. Entscheidungen in Autokratien wie China entstehen anders. Wenn der chinesische Staat ein modernes Hochhausviertel oder eine Industrieansiedlung errichten will, dann siedelt er die Menschen um, die auf dem Bauland leben, einfach um. Wenn der Staat für mehr innere Sicherheit und Ordnung sorgen will, dann entsteht ein System der digitalen Überwachung - mit Kameras zur Gesichtskontrolle. Zur Bekämpfung des Coronavirus werden ganze Millionenstädte abgeriegelt. Kann das Land deshalb schnell und effizient das Richtige zur Bekämpfung der Klimakrise tun? Wer nicht befürchten muss, alle paar Jahre vom Volk aus dem Amt gewählt zu werden, kann eine Wende einfach befehlen, oder etwa nicht?

Klimaschutz – ein echtes Anliegen

Xi Jinping scheint der erste chinesische Staatschef zu sein, dem Klima- und Naturschutz echte Anliegen sind. Schon vor Jahrzehnten sprach er von den »ökologischen Schulden«, die das Land mit seinem Wachstum anhäufe. Er ließ als Provinzgouverneur Berge wieder aufforsten, ordnete die Renaturierung von Flussbetten an und sorgte dafür, das schmutzige Fabriken schließen mussten. Die Luft in den Metropolen ist sauberer geworden, seit Xi die Macht übernahm. Unter Xi investiert China nahezu so viel in neue Solar- und Windkraftanlagen wie der gesamte Rest der Welt. Der für 2024 erwartete Zuwachs bei Chinas Solarenergie ist größer als die in den USA insgesamt produzierte Menge an Solarstrom. In China ist nur der Staat für die Zukunft zuständig. Klima- und Naturschutz sind technokratische Vorgänge des Staatsapparats.

China – und seine Kohle

China verfügt über die größten Kohlevorkommen der Erde. Die größte aller fossilen »Dreckschleudern« gilt im Land immer noch als »schwarzes Gold«, mit dem die Wirtschaft floriert. Der fossile Rohstoff ist für Kraftwerke, Stahlfabriken und Kokereien im ganzen Land bestimmt. Trotz der angeordneten »grünen Transformation« fördern die Minen des Landes derzeit so viel Kohle wie noch nie. Warum tut sich das Land so schwer, von der Kohle wegzukommen, trotz seines umweltbewussten Machthabers, trotz all der neuen Solaranlagen und Windräder und grünen Werbeslogans?

Ein Grund für die unerklärlich scheinende Ambivalenz ist die Geografie des Landes. Die meisten Solar- und Windkraftanlagen wurden bisher in den dünn besiedelten Gegenden im Westen errichtet. Die Industriezentren und Millionenmetropolen liegen hingegen entlang der Küste im Osten. Dorthin muss der regenerativ erzeugte Strom über Tausende Kilometer hinweg transportiert werden. Das Stromnetz dafür ist (noch) nicht durchgängig fertiggestellt. Außerdem entstehen wegen oft der großen Entfernungen hohe Transportverluste. Um dafür zu sorgen, dass die teuer errichteten Leitungen konstant Strom übertragen, werden weiterhin neue Kohlekraftwerke als Ergänzung zu Wind- und Solaranlagen genehmigt.

Öl und Gas spielen bei der Stromerzeugung Chinas kaum eine Rolle. Kohle ist vorhanden und vergleichsweise günstig. Daher darf die »alte Diva« immer noch auftreten. Ende 2022 erreichten die Erneuerbaren schon die Hälfte der theoretischen Kapazität für die Stromerzeugung. Aber nur ein knappes Drittel des tatsächlichen Verbrauchs 2022 stammte aus regenerativer Stromerzeugung. Der Atomstrom kam auf fünf Prozent – und der Kohlestrom kam auf fast zwei Drittel.

Das Land arbeitet mit Hochdruck an Netzoptimierung und Speichertechnologien. Prognosen besagen, dass sich die Einsatzzeiten und damit die CO2-Emissionen der Produktion von Kohlestrom drastisch reduzieren, sobald die Netz- und Speicherungskapazitäten geschaffen werden.

Der Klimawandel – ein neues Hindernis

In China war der Sommer 2023 so heiß wie noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Folge: Trockenheit und sinkende Wasserstände. Das Stromnetz war in den vergangenen beiden Jahren stark unter Druck, speziell dort, wo es viele Wasserkraftwerke gibt. Viele Provinzen berichteten über Blackouts. Die Klimaanlagen in vielen Wohnungen der Metropolen liefen auf Hochtouren. Die Folge: die Nachfrage nach Strom stieg überproportional an. Durch den zeitweisen trockenheitsbedingten Ausfall von Wasserstrom und der geschilderten Problematik von Netzverlusten bzw. nicht ausreichenden Netzkapazitäten der Erneuerbaren musste die gute alte Kohle das Defizit decken.

Xi Jinping sah sich gezwungen, die Kohle zumindest temporär als einen »Grundpfeiler« der Energieerzeugung zu bezeichnen.

Auch in China wird es darauf ankommen, wie sich die Bevölkerung in Bezug auf den Klimawandel verhält. Die Reaktion von Xi zum Festhalten an der Kohle hatte mit der Angst vor Unruhen zu tun, denn Blackout-Angst und ausfallende Industrieproduktion lassen nicht nur uns in der westlichen Welt nervös werden. Und innere Nervosität ist in China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern ein besonders sensibles Element.

Noch sorgt der Klimawandel kaum für Gesprächsstoff in chinesischen Familien, im Büro oder unter Freunden. Die Medien berichten vorwiegend über Klimaereignisse in Europa, Südamerika oder Afrika. Im Fernsehen gibt es weder Talkshows, in denen über Heizungsgesetze gestritten wird oder bei denen über Emissionen durch starken Flugverkehr diskutiert wird. Der Medienapparat der Regierung mit dem Ziel, nach innen für Ruhe zu sorgen, wirkt.

Für die Chinesen sind saubere Luft, die eigene Gesundheit und Lebensqualität die Kriterien für Themen bei Umwelt und Klima. So glauben laut Umfragen die meisten von ihnen, dass der Klimawandel zu mehr Luftverschmutzung führe, während nur wenige die Erwärmung der Erde erwähnen.

Von Veränderungen in China

Ohne Zweifel ist es der chinesischen Regierung bewusst, dass die Menschen durch ihre hohe Reisebereitschaft und damit den Zugang zu medialer Information außerhalb staatlicher Kontrolle ihre Meinung und Haltung dazu ändern. So kommen Analysen wie das Handbuch zur chinesischen Klimapolitik des Oxford Instituts für Energiestudien auch bei den Chinesinnen und Chinesen an.

Xi Jinping und seine Regierung wissen sehr wohl, dass das Land auch eines der größten Opfer der Klimafolgen sein kann. Dabei darf nicht vergessen werden, dass mindestens ein Zehntel der chinesischen CO₂-Emissionen aus der Herstellung von Laptops, Spielzeug und Kleidung stammten, die für Menschen anderswo in der Welt hergestellt werden.

Das Ende der Erderwärmung wird auch in China entschieden. Der Weg dorthin ist steinig und uneben. Mit dem Wegräumen von Steinen und Hindernissen haben die Chinesen bei ihrer Entwicklung zur Nr. 1 der globalen Wirtschaft bereits gute Erfahrungen. Insofern dürfen wir hoffnungsvoll sein, dass das Land den Weg zur Klimaneutralität vor 2040 erreicht, trotz des zumindest bis Ende dieses Jahrzehnts notwendigen hohen Anteils an Kohlestrom.

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